Joe Wright gilt als Wunderkind Englands, seitdem er die Zuschauerherzen mit Nischenfilmen wie Abbitte oder Stolz und Vorurteil für sich gewann und als jüngster Regisseur aller Zeiten mit seinem Film das Festival in Venedig eröffnen durfte. Wir trafen den sympathischen Regisseur in Berlin und sprachen mit ihm über Wer ist Hanna? und seine Auffassungen zum Kino.
Wieso Wer ist Hanna? in Berlin spielt
Als Bewunderer von Fritz Lang und F.W. Murnau, aber auch von Wenders Der Himmel über Berlin hat Wright schon immer eine große Affinität zu Berlin. Doch auch sein Vater, der 1908 geborene Betreiber eines Londoner Puppentheaters, hatte ihm viel von der Stadt erzählt, in der er 1938 eine Liebschaft besuchte. Joe Wright kam 1981 in die geteilte Stadt auf dem Weg zu einem Puppentheater-Festival in Krakau. Doch bis 2010 sollte es dauern, bis er tatsächlich in Berlin einen Film drehen sollte. Um Berlin bestmöglich als Kulisse zu nutzen, bat er Location Scouts, besonders ungewohnte, romantische, märchenhafte Plätze auszusuchen. Auf keinen Fall sollte sein Film bekannte Sightseeing-Orte zeigen. Wer ist Hanna? spielt so beispielsweise im schon lange geschlossenen Vergnügungspark Plänterwald oder vor dem Messegelände ICC im Westen der Stadt.
Wieso der deutsche Killer kein Klischee ist
Es gibt da diesen einen fast albinohaften Killer-Deutschen, der die junge Hanna quer über den Kontinent jagt und auf seinen Lippen stets eine ziemlich fiese Melodie pfeift. Natürlich dachten wir sofort an Kill Bill, den Mr. Wright aber noch nie (!) gesehen hat. Dass Joe Wright wahrscheinlich der letzte Mensch im Filmgeschäft ist, der noch nie Kill Bill gesehen hat, lassen wir jetzt mal unkommentiert. Aber es kommt noch dicker: Der Klischee-Deutsche ist nämlich gar kein Deutscher. Vielmehr arbeitete Wright eine schmerzhafte Kindheitserinnerung in die Figur ein: Als Schüler mit einer verkannten Dyslexie hatte er früher sehr unter dem Schulsystem zu leiden und wurde auch nach der Schule oft verprügelt. Es gab damals einen Typen namens Kenny (der Name sagt schon alles!), der ihm nach Schulschluss immer auflauerte. Kenny gehörte zu der Jugendgruppe der “Casuals”, die bekanntermaßen brutal gegen Schwächere vorgingen. Sie sprachen einen besonderen Londoner Cockney-Akzent und trugen komische Klamotten. Pech nur für Kenny, der mittlerweile wohl tot in einem Straßengulli liegt, während Joe Wright meisterhafte Filme dreht und seine Folterern von damals mit der Figur eines deutschen Killers würdigt. Und das Pfeifen kommt daher, dass Tom Hollander eben sehr gut pfeifen kann. So gut, dass er sogar auf Wrights kürzlicher Hochzeit mit der Tochter von Ravi Shankar, Anoushka, ein Pfeifduett mit Norah Jones darbrachte.
Wie Joe Wright nach Der Solist wieder Mut fasste
Dass Hollywood kein Paradies der freien Kreativität ist, musste Wright leider bereits am eigenen Leib erfahren. Nachdem er in den Himmel gehypt wurde, fuhr der Brite über den Ozean, um Der Solist mit Jamie Foxx und Robert Downey Jr. zu drehen. Leider kam der Film nicht gut an. Der Starttermin wurde mehrfach verschoben, die Verleiher scherten sich einen Dreck um Der Solist und Wright fühlte sein Werk missverstanden. Wenn die Arbeit als Erweiterung des eigenen Ichs verstanden wird, so Wright, schmerze Scheitern umso mehr. Und in Hollywood sei das eben so: Nachdem Der Solist nur die Hälfte seines Budget wieder eingespielt hatte, wurde das nächste Projekt mit dem Titel Indian Summer gecancelt. In dem in Pakistan spielenden Unabhängigkeitsdrama sollte Cate Blanchett die Hauptrolle spielen, die dann ja in “Hanna” die Hauptrolle der Widersacherin Marissa Wiegler annahm. Wer ist Hanna? ist in den USA nun vorzüglich gestartet – was eine enorme Erleichterung für Joe Wright darstellt. Sein nächster Film wird übrigens wieder ein Kostümfilm sein, Wright will Anna Karenina neu interpretieren. Die Dreharbeiten mit Keira Knightley und Jude Law werden bald beginnen. Anschliessend werde er eventuell “Die kleine Meerjungfrau” inszenieren.
Die Lieblingsfilme des Joe Wright
Ein Mann von solch ungewöhnlicher Herkunft – die Eltern sind Puppentheaterbetreiber, die Dyslexie wurde jahrelang verkannt und er wurde von Eltern wie Mitschülern misshandelt – kann keinen Lieblingsfilm wie Ghost – Nachricht von Sam haben. Er MUSS gewissermaßen David Lynch lieben! Es war also keine große Überraschung, dass Wright Blue Velvet als größtes Meisterwerk aller Zeiten nannte. Von Lynch lernte Wright, dass “etwas jenseits der Vernunft existieren muss”. Ein Gedanke, der im Wesentlichen auch Wer ist Hanna? prägt. Für anbetungswürdig hält er darüber hinaus Pier Paolo Pasolini, Greta Garbo und Willkommen Mr. Chance von Hal Ashby.
Wer ist Hanna? mit Saoirse Ronan, Cate Blanchett und Eric Bana läuft diesen Donnerstag in den Kinos an. Schaut ihn euch an – Joe Wright hat Großartiges geleistet.