Alle redeten dieses Jahr von The Dark Knight, James Bond 007 – Ein Quantum Trost und Der Baader Meinhof Komplex. Blockbuster denen das Publikum entgegenfieberte, deren Vorberichte verschlugen wurden, die Diskussionen auslösten und die Menschen bewegten.
Doch relativ unbemerkt des ganzen Rummels entpuppte sich ein ganz anderer Film als heimlichen Hit des Jahres 2008: Die Verfilmung des Erfolgsmusicals Mamma Mia! mit Meryl Streep und Pierce Brosnan in den Hauptrollen. Während sich der dunkle Ritter, schon längst aus den Kinos verabschiedet hat und Bond nach knapp einem Monat langsam in die kleineren Säle wandert, hält sich das Musical mit der Musik von ABBA seit Mitte Juli beständig in den Kinos. Nicht nur hierzulande, sondern weltweit.
Mamma Mia! ist ein Phänomen, ein Sleeper, der es trotz mässiger Kritiken, einer eher schlichten Handlung, dünnen Stimmen und dem völligen Fehlen von Action und Spezialeffekten schafft sich ein Millionenpublikum zu erspielen.
“Über die Defintion von Folter wurde viel gesprochen in den letzten Jahren und Mamma Mia! dürfte einen wertvollen Beitrag dazu leisten”, ätzte Anthony Lane vom New Yorker
“Die Kostüme sehen billig aus, die Choreographie ist ungelenk und die Kameraarbeit furchtbar”, zeterte die Kollegin Elisabeth Weitzman von den New York Daily News
Natürlich gab es auch freundlichere Stimmen, rund die Hälfte der Reviews bei Rotten Tomatoes sind positiv, aber in die Topliste der Kritiker wird es Mamma Mia wohl auch bei denen nicht schafften, die ihm bescheinigten fluffig-fröhliche Unterhaltung zu sein. Und auch die meisten wichtigen Filmseiten und Magazine gaben dem Musical in der Berichterstattung eher den Katzentisch. Ja klar, der Film läuft an, aber das war es dann auch.
Nur für das Publikum nicht. Denn das kam. Und kam. Und kam immer wieder. Monatelang. Bis heute. Denn Mama Mias Zuschauer entsprechen kaum dem typischen Bild des Kinozuschauers. Heutige Blockbuster werden auf die Zielgruppe 12-25 und tendenziell eher männlich zugeschnitten. Mamma Mia zieht sich jedoch quer durch alle Demographien: Ein großer Prozentsatz ist älter als 30 und schert sich einen Dreck um Startwochenenden – dem heiligen Gral heutiger Filmstarts. Und entgegen der Vermutung sind es nicht nur Frauen die sich von den eingängigen Songs unter griechischer Sonne mitreißen lassen. Mamma Mia war genau der Film für alle die dem Jugendwahn, dem Effektgewitter, der Düsternis und dem Pseudorealitätsanspruch eines Dark Knight oder James Bond entfliehen wollten.
Kino als Eskapismus, als Eintauchen in eine andere Welt, als Flucht in ein Traumland. Der Film bietet diese Flucht. Er nimmt Angst und macht Mut. Er zeigt Menschen jenseits der “Werberelevanten Zielgruppe” mit Lust am Leben, am Lieben und am Sex. Selbst die wackligen Stimmen, das schiefe Gekrähe eines Pierce Brosnan wirkt beruhigend. Wenn auch die Stars Falten haben und klingen wie Onkel Horst beim Karaoke-Abend, dann ist vielleicht wirklich alles nicht so schlimm. Der Film nimmt sich selbst nicht bierernst und behauptet nie mehr als er liefern kann. Mamma Mia! entlässt die Zuschauer mit einem wohlig-flauschigen Gefühl aus dem Kino. Angesiedelt zwischen Ü30-Party und Bauerntheater bietet er genug Selbstironie, Herz und Chuzpe um eine positive Grundstimmung zu erzeugen, die selten geworden ist in Zeiten von CGI-Orgien und Renderwahn.
Im Herbst wurde eine Sing-Along-Fassung in die Kinos gebracht, bei der passend zu den Songs der Text eingeblendet wird. Das kennt man sonst nur von Teenie-Filmen wie High School Musical nur das bei ABBA alle mitsingen vom Backfisch bis zur Großmutter.
Und rein finanziell ist Mamma Mia ein wirklich guter Deal. Weltweit hat er zwar bislang “Nur” 571 Millionen Dollar eingespielt, das ist etwas mehr als die Hälfte der Dark Knight-Einspielergebnisse – aber im Gegensatz zum vielgehypten dunklen Ritter hat das Musical auch nur 52$ Millionen gekostet. Batmans letzter Einsatz schlug hingegen mit 185$ Millionen Dollar zu Buche.
Und während sich der Joker schon längst aus den meisten Kinos verabschiedet hat, steht Meryl Streep noch immer auf der Klippe und schmettert ihre Botschaft prophetisch von der Leinwand:
“The winner takes it all…”