Wie eine Studie des Annenberg Public Policy Centers und der Ohio State Universität ergab, hat sich seit der Einführung der Altersfreigabe “PG-13” (Elternbegleitung empfohlen, aber nicht zwingend) im Jahr 1985 die dargestellte Waffengewalt in Filmen der entsprechenden Altersklasse mehr als verdreifacht. Dies führte dazu, dass 2012 zum ersten Mal PG-13 Filme im Schnitt mehr Waffengewalt enthielten als Filme mit dem strengeren R-rated Siegel (ab 17 Jahren oder mit zwingender Elternbegleitung). 2009 bis 2011 hielten sich die Anteile noch die Waage. Das bedeutet, innerhalb von 20 Jahren hat sich das Gewaltlevel amerikanischer Filme mit FSK6 oder FSK12 ähnlichen Einstufungen dem Level von FSK16 angeglichen.
Ein Aufreger der Woche über die amerikanische FSK (MPAA, Motion Picture Association of America), die fadenscheinigen Jugendschutz im Dienste der Filmwirtschaft betreibt. Die MPAA lässt uns drüber nachdenken, dass nicht die Gewalt im Kino das Problem sein könnte, sondern in erster Linie das korrupte Prüfungssystem der US-Filmwirtschaft, das den Filmen ermöglicht, dank Doppelmoral und Lobbyismus sich wirtschaftlich attraktiv zu positionieren.
God bless America
Amerika definiert sich für die Welt als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch als das Land mit der etwas anderen Beziehung zu Waffen. Ein zu großes Themengebiet, als dass wir es in diesem Artikel nur ansatzweise behandeln könnten. Einigen wir uns darauf, dass die Ursprünge wohl in der amerikanischen Geschichte zu finden sind, was heute dazu führt, dass die MPAA auch nur leiseste Anzeichen von Sexualität und Kraftausdrücken in Filmen mit R-rated brandmarkt, aber Gewalt nur in extremen Fällen zu einer höheren Einstufung führt.
Die Erkenntnisse der Studie dürften darum kaum jemanden überraschen. Gewalt war schon immer wesentlicher Bestandteil der amerikanischen Filmgeschichte und macht einen nicht unerheblichen Reiz aus. Viel interessanter erscheint jedoch die Gewaltverlagerung, die die Studie zu erkennen gibt. Das R-rating ist das schwarze Schaf unter den amerikanischen Altersfreigaben mit dem Ruf, die Einspielergebnisse erheblich zu drücken. Doch schrumpfende Gewinnprognosen machen erfinderisch, also begannen die Studios bereits vor Jahren darauf zu achten, dass mit dem Anstieg von Blockbusterbudgets die angepeilte Altersfreigabe proportional sank. World War Z war eines der jüngsten Hollywood Beispiele für ein prädestiniertes R-rated Projekt, dass schlussendlich doch beschnitten in die Kinos kam, um einem möglichst breit gefächerten Publikum den Zugang zum Film zu ermöglichen.
Wie praktisch, dass die MPAA in dieser Hinsicht ein überaus hilfreicher Verband zu sein scheint. Die eingereichten Filme werden nicht bloß geprüft und mit einer Altersfreigabe zurückgeschickt, sondern ausführliche Angaben, wie die Filme bearbeitet werden müssten, um in die nächst untere Kategorie zu fallen, liegen zusätzlich noch bei. Der wirtschaftliche Erfolg der geprüften Filme liegt immerhin im Interesse der MPAA, die nichts anders ist als ein Zusammenschluss der sechs größten, amerikanischen Filmproduktionsgesellschaften. Ein Interessenvertretung, die in ihrem Namen Lobbyarbeit betreibt und quasi nebenbei noch Altersfreigaben erteilt. Gewusst wie.
Sex, Fucks & Studies
Die Studie verglich die 30 erfolgreichsten PG/PG-13-Filme zwischen den Jahren 1950 und 2012 und entdeckte eine konstante Steigerung des Gewaltlevels. Seit 1985 enthielten zudem 94% aller Filme mindestens eine fünfminütige Gewaltsequenz. Die Ergebnisse stützten sich dabei auf frühere Erkenntnisse, die besagen, dass die bloße Gegenwart von Waffen Aggressionen erzeugen könne, der sogenannte Waffeneffekt. Somit könnte der Anstieg von Waffengewalt in Filmen in direktem Zusammenhang mit einem möglichen Anstieg von Aggressionen stehen. Die Studie spricht von “verstörenden Erkenntnissen” und dass “Filme den Kindern von heute lehren, wie sich Erwachsene verhalten und durch die starke Zunahme von Waffengewalt die Verwendung von Waffen in einem aufregenden und attraktiven Licht erscheine.” Ihr merkt, gerade die Deutung der eigenen Ergebnisse, macht aus der Studie eine zweischneidige Angelegenheit und driftet in die alte “Gewalt in Filmen/Videospielen machen Kinder aggressiv” -Klischeeecke ab.
Es ist das alte Lied von der amerikanischen Doppelmoral. Gewalt wird toleriert – geradezu zelebriert – während Sexualität und Schandmäuler mit puritanischer Entschlossenheit von der MPAA verfolgt wird. Brüste, Nippel und offene Sexualität werden konsequent abgestraft. Selbstverständlich auch Filme, die offene Homosexualität darstellen, siehe Brokeback Mountain, Milk oder Liberace. Komödien mit derbem, frivolen Mundwerk ebenfalls, siehe Taffe Mädels, Hangover 3, Wir sind die Millers, Voll abgezockt. Die zuletzt genannten Filme führen übrigens in den USA die Liste der erfolgreichsten R-rated Filme 2013 an, während sie bei uns ausnahmslos mit FSK12-Flatschen in die Kinos kamen. In solchen seltenen Momenten könnten wir uns fast dazu hinreissen lassen, stolz auf die Freiwillige Selbstkontrolle zu sein, die zumindest dem deutschen Jugendschutzgesetz untersteht. Die MPAA dagegen ist nur einer Macht verpflichtet: Sich selbst und somit der Traumfabrik.