Mom and Dad, oder: Ein Leben ohne Crank 3 ist möglich, aber trostlos

08.10.2017 - 09:20 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Kein Bild aus Mom and Dad: Crank 2: High VoltageUniversum Film
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Selma Blair und Nicolas Cage wollen in Mom and Dad ihre Kinder töten und feuern nebenbei die Sehnsucht nach Crank 3 an.

Was wäre, wenn Chev Chelios es brandwundenfrei aus Crank 2 herausgeschafft, sich mit Eve in einer nichtssagenden Vorstadt niedergelassen, Kinder und einen hirntoten Bürojob bekommen hätte? Eines Tages steht er also in seiner Einfahrt, umringt vom millimetergenau gestutzte Rasen. Der PS-Bolide seiner Jugendjahre verstaubt zusammen mit seinen Erinnerungen in der Garage und auf einmal überkommt es ihn: der Wunsch, seinen beiden Bälgern die Luft abzudrehen. So wie Homer Simpson immer wütend auf Bart losgeht, nur ohne die Flexibilität von Cartoon-Kehlen. Das ist die Ausgangsidee von Mom and Dad, der beim Filmfestival im spanischen Sitges Station gemacht hat. Darin entwickeln Nicolas Cage und Selma Blair gemeinsam mit dem Rest der Elternwelt nicht nur eine Wahnsinnswut auf ihre Kinder, sondern leben diese auch aus. Damit legt Brian Taylor seine erste Regiearbeit seit Ghost Rider: Spirit of Vengeance vor, den er noch mit seinem Crank-Kompagnon Mark Neveldine gedreht hatte. Danach folgte die Trennung und das Warten auf den versprochenen Crank 3. Brauchen wir Chev Chelios, wenn wir dem genussvoll wahnsinnig monologisierenden Nicolas Cage zusehen können?

Die eine Hälfte von Crank ist erwachsen geworden; nur nicht zu erwachsen. Gleich zu Anfang landet Mom and Dad einen filmischen Bolzenschuss in der Neveldine/Taylor-Tradition: In sekundenkurzen, präzise arrangierten Einstellungen sehen wir, wie eine Frau den flaumigen Haarschopf im Kindersitz neben sich im Auto zurücklässt und davon geht. Das Auto steht auf den Gleisen. Der Zug naht heran. Schnitt. Was anderswo der Auftakt eines markerschütternden Horrorfilms oder schuldgeschwängerten Dramas wäre, wird in Mom and Dad so schnell und effizient abgehandelt, dass man kurz zweifelt, ob sich das wirklich gerade auf der Leinwand abgespielt hat. Das darauf folgende entsetzte Lachen sollte beim Screening in Sitges erst mit dem Abspann von abklingen.

Bis dahin werden wir fix ins bald implodierende Leben der Familie Ryan geschmissen, mit dem nervtötenden kleinen Sohn, der langfingrigen Tochter, Vater Brent (Nicolas Cage, eifrig und vergnügt am Werk wie eh und je) und Mutter Kendall (Selma Blair, die viel mehr Hauptrollen dieser Art verdient). Nichts läuft fundamental falsch in dieser Ehe und das dürfte ihr Kernproblem sein. Es läuft halt, keine Ahnung warum und wohin. Als die Mordlust von den Eltern in der ganzen Stadt Besitz ergreift, jagen die Erziehungsberechtigten ihren Sprösslingen schließlich übers Footballfeld der High School hinterher, tacklen und würgen und schlagen. Nur reckt niemand die gelbe Flagge. Auch Brent und Kendall (ja, Menschen ohne Reality-Shows heißen so) werden bald von dem hemmungslosen Wunsch befallen, ihre Kleinen zu ermorden und kesseln sie im mühsam ersparten Eigenheim ein. Endlich besitzen sie wieder ein gemeinsames Ziel! Für einen Film, der seine Zugkraft im Wesentlichen aus dem Tabubruch in seinem Zentrum zieht, entwickelt Mom and Dad allerdings ungewohnt ausführliche Einsicht in die familiäre Dynamik.

Keine Sorge, die Kamera labt sich am Anblick des vom frischen Kinderblut benetzten Fleischklopfers und wenn ein gemütlicher Vorstadt-Dad mit glitschig rotem Baseballschläger aus der Einfahrt nebenan herüber zwinkert, kokettieren die Filmemacher natürlich selbstverliebt mit ihren Grenzüberschreitungen. Was sie sich allerdings erarbeiten. Durch gezielte Flashbacks beispielsweise, die Beziehungen vertiefen, sodass es durchaus schwer fällt, sich auf eine Seite zu schlagen (die schauspielerische Ekstase von Nicolas Cage ist ein schlagendes Argument). Hier wirkt Brian Taylor gegenüber seinen Crank-Tagen um ein notwendiges My reifer. So wird die mörderische Hatz vor dem herz- und leidenschaftslosem Zynismus bewahrt, der bei dieser Grundidee zu erwarten war. An Härte verliert sie dadurch nicht. Waren Crank und Ghost Rider 2 auch von einer räumlichen Raserei getrieben, gelingt es Taylor und Kollegen in der zweiten Hälfte des Films eine ähnliche Dynamik auf wenigen Quadratmetern zu entfalten, auch dank der vorschlaghammerartigen Zeitsprünge.

Und doch bleibt bei einer dieser "elegischen" Rückblenden ein wenig Wehmut zurück. Da lässt ein junger Brent mit einer halbnackten Blondine in seinem Sportwagen völlig entfesselt und geil die Reifen rauchen und das Cineastenherz blutet ob der Nonexistenz von Crank 3. Die ersten beiden Filme der Reihe, Crank und Crank 2: High Voltage, sind in ihrem kinetischen Wahnwitz unerreicht, auch weil die wenigsten Filme in der Inszenierung diesem Anarcho-Geist gerecht werden. Den beiden Kameramännern und Regisseuren jedoch gelang das. Zwischen den Gauklern lieferten Neveldine/Taylor echte, schwitzige, abstoßend-anziehende Zauberei ab.

Vor zwei Jahren hieß es dann, Jason Statham wolle Crank 3 machen. Mark Neveldine erklärte damals, die kreative Trennung von Brian Taylor wäre projektabhängig. Ein gemeinsam umgesetztes Remake von Die Warriors sei im Gespräch und Crank 3 ebenso. Nur das Timing aller Beteiligten müsse hinhauen. Seitdem: Funkstille. Nun haben wir immerhin Mom and Dad, eine Art Crank für Vorstadt-Eltern, das entsetzlich viel Spaß macht. Es erzählt von der dunkelsten Chev Chelios-Timeline, mit Nicolas Cage und Selma Blair als würdige Mittelklasse-Erben von Jason Statham und Amy Smart. Crank 3 aber fehlt.

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