In Delicious, dem Regiedebüt der deutschen Schauspielerin und Drehbuchautorin Nele Müller-Stöfen, kann sich Fahri Yardım in noch so viele Ralph Lauren-Poloshirts und Lacoste-Tennisshorts werfen. Mit jeder vergehenden Minute dieser sonnigen Mischung aus Drama und Thriller steht er trotz Wohlstandsleben wie der verzweifeltste, ärmste Loser da.
Dabei zuzuschauen, wie die Regisseurin eine privilegierte Familie langsam zerlegt, ist aber nur das halbe Vergnügen von Delicious. Der Film, der ab dem 7. März im Netflix-Abo streamt und gerade auf der Berlinale 2025 Weltpremiere feierte, lohnt sich vor allem für das wildeste Finale, das ihr euch vorstellen könnt.
Netflix-Thriller Delicious entfesselt vorsichtige Anspannung, die unter der Oberfläche brodelt
Müller-Stöfens Film beginnt mit angenehmen Urlaubsbildern, die gar nichts anderes sein wollen als müde Klischees. Das ruhige, abgelegene Ferienhaus irgendwo in der französischen Provence mit Pool im Garten ist eine ebenso falsche Kulisse wie die Szenen, in denen das Ehepaar Esther (Valerie Pachner) und John (Fahri Yardım) mit ihren Kindern schick Abendessen geht.
Jeden Sommer verbringt die wohlhabende Familie in Frankreich, um vom stressigen Alltag abzuschalten. Richtig gelingen will das nicht, denn Esther, die irgendwas im Bereich der Unternehmensdigitalisierung arbeitet, will auch im Urlaub permanent erreichbar bleiben und sich regelmäßig in Videotelefonate einschalten. "Ich wünschte, ich wäre dein iPhone", sagt John nur zu ihr, wenn er abends im Bett neben seiner Frau liegt. Er selbst veröffentlicht beruflich wissenschaftliche Studien, von denen ihn die neuste noch in größte Bedrängnis bringen wird.
Der Kontrast zwischen privilegiertem Urlaubsalltag und leicht aufblitzenden Rissen in der Familiendynamik wird neu sortiert, als Theodora (Elite-Star Carla Díaz) in das Leben der Hauptfiguren tritt – oder vielmehr vor Johns Auto stürzt, als dieser beschwipst auf der verlassenen Landstraße nach dem Restaurantbesuch zurückfährt.
Delicious lebt von Details statt komplexer Handlung
Wegen ihrer blutigen Verletzung am Arm speist John die junge Spanierin mit etwas mehr als 300 Euro ab. Wenig später steht sie trotzdem wieder vor der Tür, um sich als Haushälterin zu bewerben. Dabei ist längst klar, dass sich Theodora mit einer List in die Familie einschleicht. Eine Szene kurz vor dem "Autounfall" hat schon enthüllt, dass die Wunde selbst zugefügt und damit ein Täuschungsmanöver war.
Von hier an nistet sich Theodora mit quirliger Lebensfreude wie ein Parasit im spröden Lebensnetz von John, Esther & Co. ein. Aus dem Szenario, bei dem die Oberschicht von der Unterschicht infiltriert wird, spinnt Müller-Stöfen aber keinen wendungsreichen, ständig Haken schlagenden Film wie den thematisch vergleichbaren Parasite von Bong Joon-ho.
Delicious ist simpler gestrickt und läuft langsam auf eine unvermeidliche Eskalation zu. Spannend ist eher die Frage, welchen Höhepunkt der Film ansteuert. Bis dahin sind es kleine Momente und Details, die das Spielfilmdebüt der Regisseurin vorantreiben.
Wie Theodora eine Feige aufreißt, in Nahaufnahme in ihrem Mund präsentiert und so Johns unsicheren Blick provoziert. Oder Esthers Handy, das in einem schnellen Moment von Theodora aus der Tasche gestohlen wird, was wiederum von deren Tochter Alba bemerkt wird. In den besten Momenten wird Delicious zum Wechselspiel aus Verführung und Täuschung, das die dünne Story und schleppende Dramaturgie zusammenhält.
Im Finale wird Delicious zu einem komplett anderen Film, der selbst erlebt werden sollte
An dieser Stelle darf und will ich gar nicht verraten, wie das Finale von Delicious aussieht. Nele Müller-Stöfen hat ihren Film aber eindeutig auf einen Paukenschlag ausgelegt, der nach dem behäbigen Aufbau umso genüsslich-abstoßender einschlägt. Wer schon immer mal sehen wollte, wie Fahri Yardıms Arschloch-Version von sich selbst aus Jerks endgültig bekommt, was er verdient, sollte Delicious allein wegen der Auflösung eine Chance geben.
Delicious läuft im Panorama der 75. Berlinale. Ab dem 7. März 2025 ist er bei Netflix im Streaming-Abo verfügbar.