Paterson von Jim Jarmusch - Ein Glück, dass es Adam Driver gibt

17.05.2016 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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Adam Driver ist einer der vielversprechendsten Schauspieler seiner Generation, was auch der neue Film von Jim Jarmusch zeigt. In Cannes feierten Paterson und Jeff Nichols' Drama Loving mit Joel Edgerton und Ruth Negga Premiere.

Adam Driver ist kein Star. Sein Gesicht, und nichts Wichtigeres gibt es für einen Filmstar, widerstrebt konventionellen Schönheitsmaßstäben. Ohren, Nase und Lippen des Schauspielers haben den jugendlichen Wachstumsschub offenbar ohne den Rest des Gesichts durchgezogen. Die dunkle Stimme prädestiniert Driver für Bösewichtsrollen, überhaupt scheint sein Äußeres gespickt mit Indizien für die Abweichung von der Norm. Womit er sich für die Rolle des erratischen Künstlers in Girls empfahl. Adam Driver ist ein Star, denn immerhin hat er sich von Girls-Episoden zu Star Wars-Episoden hochgearbeitet und bei diesem Gesicht erübrigte sich die Frage, ob Kylo Ren seinen Helm in Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht abnehmen würde, von selbst. In Jim Jarmuschs neuem Film Paterson sehen wir Adam Driver in so gut wie jeder Szene. Er gibt dem Wettbewerbsbeitrag beim Festival Cannes einen sanften Rhythmus vor: Paterson, der Film, Paterson, die Stadt und Paterson, die Hauptfigur, sie sind eins.

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Wenn Dennis Hopper nicht gerade eine Bombe unter der Haube versteckt, führen Busfahrer ein ganz gewöhnliches Leben. Paterson (Adam Driver) steht von Montag bis Freitag kurz nach 6 auf, geht mit seiner Lunchbox zum Depot, vorbei an roten Backsteinwänden und unter Backsteinbögen hindurch. Sein Kollege Donny (Rizwan Manji) fragt, wie es ihm geht, manchmal kommt Paterson ihm zuvor, doch stets lastet in den Erzählungen das Pech von fünf Donnys auf einem Donny. Paterson lauscht den Gesprächen der Passagiere, er packt sein Mittagessen vor den Wasserfällen des Passaic River aus und bringt seine Schicht zu Ende. Jeden Tag zeigt ihm Laura (Golshifteh Farahani), was sie diesmal für Decken oder Kleider mit ihren schwarz-weißen Kringeln und Streifen bemalt hat und jeden Abend lässt Paterson in der Kneipe um die Ecke ausklingen.

Es gibt nichts Besonderes an Busfahrer Paterson, genauso wenig wie sich Paterson, New Jersey, von anderen Industriestädten in den USA unterscheidet. Gleichwohl blickt diese ganz normale Stadt auf eine reiche Historie zurück, voller berühmter Dichter und sogar dem Dreh einer Sopranos-Folge. Allen Ginsberg wuchs in Paterson auf, Jack Kerouacs Sal Paradise wohnt in Unterwegs in der Stadt und Jim Jarmusch lässt seinen Paterson zwischen Busfahrten und Gute-Nacht-Bier Gedichte schreiben, oder genauer: den Film schreiben. In Paterson verschmelzen Alltag und Poesie, weil das eine das andere bedingt. Laura erzählt von einem Traum und seine Motive werden in der Textur des Films verwebt. Plötzlich stehen Zwillinge am Wegesrand, im Bus, in der Kneipe. Auf dem Weg zur Arbeit schreiben sich die Zeilen des Dichters ins Bild und Adam Drivers tief entspannte Stimme geleitet uns durch Paterson, die Stadt, und in den kreativen Prozess von Paterson, dem Autor. Es ist eine weich gebettete Reise ohne Entdeckungen und Driver ein charismatischer Gefährte mit dem Talent, unsere Aufmerksamkeit auch dann aufrecht zu erhalten, wenn Paterson nur nachdenkt: über ein Gedicht oder die Frage, warum sein Briefkastenständer jeden Abend schief im Vorgarten steht.

Lauras künstlerische Bemühungen hingegen werden von Ehemann Paterson und Bulldogge Marvin durchweg belächelt. Sie darf den unerkannten Dichtergott füttern und motivieren und zum Dank wird Laura dem Zuschauer zum Fraß vorgeworfen. Ein bedauernswerter blinder Fleck in einem Film über die Beobachtungsgabe des Künstlers. Bei so viel Selbstzufriedenheit vergeht wohl die Lust am Suchen.

Es gibt Albträume und dann gibt es die Vorstellung, ein Tate Taylor oder John Lee Hancock hätte beim Wettbewerbsbeitrag Loving auf dem Regiestuhl gesessen. Die wahre Geschichte erinnert an die Schwarze Mildred Loving und den Weißen Richard Loving, die bis vor den Supreme Court zogen, um ihr Recht auf eine Ehe durchzusetzen. Loving hat den Stoff zum auf mitreißend getrimmten Period Picture mit einem Haltbarkeitsdatum bis zur nächsten Oscar-Verleihung. Jeff Nichols allerdings bricht den Fall Loving v. Virginia auf seine intimen Bestandteile herunter: ein Paar, das in der gemeinsamen Heimat leben will und eine rassistische Gesetzgebung, die dies verwehrt.

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Seit Shotgun Stories 2007 pflegt Nichols seine eigene Nische von Americana-Erzählungen, angesiedelt in ländlichen Bundesstaaten wie Arkansas, Ohio oder nun Virginia. Dabei prägt die Familiengeschichten mit Genre-Einschlag eine tiefe Zuneigung zur lokalen Verwurzelung ihrer Protagonisten. Das betrifft die wirtschaftlich brachliegende Gegend in Shotgun Stories ebenso wie die Insel im Strom, auf der sich Mud (Matthew McConaughey) vor den Gesetzeshütern versteckt hält. In Loving sind es die einfachen Wiesen und Felder Virginias, von denen Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga) nicht lassen können, obwohl der Bundesstaat ihre Beziehung missbilligt. 1958 reisen die beiden deswegen nach Washington D.C., um zu heiraten und werden bei der Rückkehr eingesperrt. Entweder sie verlassen den Staat oder kommen für 25 Jahre ins Gefängnis, lautet das Urteil. Die Lovings ziehen weg, den Traum von dem eigenen Morgen Land in ihrem Land nehmen sie mit.

Jeff Nichols' Drehbuch vermeidet nun dankenswerterweise die schematische Struktur, zu der wahre Geschichten wie diese häufig verleiten. Die Perspektive bleibt in Loving verengt, das Erzähltempo gemächlich, weshalb der Film weniger eine Epoche rekreiert, denn die Vorstellung eines idealen Urzustands, der durch arbiträre Gesetze in Unordnung geraten ist. So entwickelt der Film seinen eigenen Takt. Stein für Stein, den Maurer Richard aufeinandersetzt, kommen die Lovings der Konfrontation mit dem Staat näher, nicht weil sie die Welt verändern wollen, sondern weil die Welt sie verändern will. In Ruth Neggas Augen spiegelt sich die Sehnsucht nach Rückkehr in Mildreds ganz gewöhnliches Paradies, während Edgertons Richard sich unter der wachsenden Aufmerksamkeit weiter zurückzieht. Nach seinem eigenwilligen Science-Fiction-Film Midnight Special schält Nichols nun den menschlichen Kern in einer wegweisenden Episode der Bürgerrechtsbewegung heraus. Er findet eine zeitlose Liebesgeschichte, getragen von zwei hervorragenden Hauptdarstellern.

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