Seit 2001 findet die Berlinale unter der Leitung von Festival-Direktor Dieter Kosslick statt, der sie im Mai des Jahres von Moritz de Hadeln übernahm. Von Anfang an wollte er auf der Berlinale nicht nur qualitativ hochwertige Filme zeigen, sondern auch politische Ziele verfolgen: „Verständigung, Toleranz und Akzeptanz“ wolle er vermitteln, da dies „auch heute die wichtigsten Voraussetzungen für Frieden“ seien, schrieb der Festivaldirektor 2002 in seinem Grußwort zur ersten Berlinale unter seiner Leitung. Er eröffne diese „unter den politischen Eindrücken und weltpolitischen Veränderungen“ nach dem 11. September 2001.
Schon im ersten Jahr seiner Leitung betonte Dieter Kosslick also die politische Funktion der Berlinale und blieb dieser Linie auch in den Folgejahren treu. Die Berlinale sollte politische Filme würdigen und so politischen Einfluss nehmen. Zumindest die erste Hälfte dieser Zielsetzung konnte er auch in die Tat umsetzen.
Viele politische Filme unter den Preisträgern
Seitdem Dieter Kosslick das Festival leitet, sind auffallend viele politische Filme im Wettbewerb und auch unter den Preisträgern zu finden. So gewann den Goldenen Bären 2002 beispielsweise, neben dem Zeichentrickfilm Chihiros Reise ins Zauberland, mit Bloody Sunday ein halbdokumentarisches Drama, das sich mit dem Nordirlandkonflikt, speziell dem sogenannten „Blutsonntag“ im Jahre 1972 auseinandersetzt. An diesem wurden während einer Demonstration für Bürgerrechte 13 Menschen von britischen Fallschirmjägern niedergeschossen. Auch in den folgenden Jahren wurden immer wieder politische Filme ausgezeichnet, zum Beispiel 2003 das Flüchtlingsdrama In This World von Michael Winterbottom oder zuletzt 2009 Eine Perle Ewigkeit von Claudia Llosa.
Die Würdigung des politischen Films auf der Berlinale ist also gewährleistet – doch wie sieht es mit der politischen Einflussnahme aus?
Wenige Filme über die Berlinale hinaus bekannt
Natürlich erregt die Berlinale als international anerkanntes Filmfestival jedes Jahr große Aufmerksamkeit. Davon profitieren auch die gezeigten Filme. Über die Berlinale hinaus erreichen allerdings wenige der Wettbewerbs-, selbst der Gewinnerfilme, ein wirklich breites Publikum. Der bekannteste Film, der unter Dieter Kosslick den Goldenen Bären gewann, ist wohl Fatih Akin s Drama Gegen die Wand aus dem Jahre 2004. Leider konzentrierte sich die Berichterstattung einiger Boulevardmedien mehr auf die Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli als auf den Inhalt des Films, der die Situation türkischer Immigranten in Deutschland zeigt und damit hohe politische Relevanz hat. Dennoch wurde wohl über keinen der Gewinnerfilme der vergangenen zehn Jahre derart ausführlich berichtet.
Politischen Einfluss nimmt die Berlinale also vor allem dadurch, dass sie politischen Filmen eine Plattform bietet und ihnen für die Dauer des Festivals Aufmerksamkeit verschafft. Danach garantiert allerdings auch ein Sieg nicht das Interesse der Medien, des Publikums oder gar den Erfolg des Films. Unabhängig davon müssen sich die Berlinale-Verantwortlichen auch die Frage stellen lassen, ob ein politisch relevantes Thema bei der Berlinale als Kriterium vielleicht überbewertet wird und der künstlerische Aspekt so in den Hintergrund tritt. Gegen die Wand war ein Film, der beides, hohe Relevanz und künstlerischen Anspruch, verband und vielleicht auch deshalb so viel Aufmerksamkeit bekam.
Politische Filme bei anderen Filmfestivals
Die Würdigung des politischen Films findet außerdem auf anderen internationalen Festivals gleichermaßen statt. So gewann in Cannes im letzten Jahr beispielsweise Das weiße Band von Michael Haneke, der sich unter anderem mit der Entstehung von Faschismus auseinandersetzt. Andere Sieger des Festivals aus den letzten zehn Jahren sind Michael Moore s politische Dokumentation Fahrenheit 9/11, Gus van Sant s Elephant über ein Schul-Massaker oder Roman Polanski s zur Zeit des Holocaust angesiedelte Der Pianist. All diese Filme sind nicht nur politisch relevant, sondern hatten auch über das Festival hinaus Erfolg. Auch in Venedig wurden während der vergangenen Dekade viele politische Filme ausgezeichnet – Beispiele sind Brokeback Mountain, der auch für mehrere Oscars nominiert wurde, oder Monsoon Wedding der indischen Regisseurin Mira Nair, der den Konflikt einer indischen Familie zwischen Tradition und Moderne behandelt.
Die Berlinale ist also sicherlich ein politisches Festival, allerdings nicht mehr oder weniger als andere internationale Filmfestivals. Die ganz große Aufmerksamkeit bekommen auch hier vor allem die Stars, die das Festival jedes Jahr nach Berlin lockt. Auch in diesem Jahr werden eine ganze Reihe berühmter Schauspieler und Filmemacher über den roten Teppich laufen, unter ihnen Leonardo DiCaprio und Martin Scorsese. So verspricht die Berlinale auch in diesem Jahr, wenn nicht ein politisch einflussreiches, zumindest ein unterhaltsames Festival zu werden.
Mehr über die Berlinale bei unserem Partner Berlinale im Dialog
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