Roehler verfälscht und banalisiert seinen Jud Süss

23.09.2010 - 11:00 Uhr
Tobias Moretti als Ferdinand Marian (Mitte)
Concorde Filmverleih
Tobias Moretti als Ferdinand Marian (Mitte)
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Ferdinand Marian war der Protagonist im NS-Propagandafilm Jud Süß. In Oskar Roehlers Jud Süß – Film ohne Gewissen bekommt die historische Figur einen noch bitteren Nachgeschmack, als dies ohnehin der Fall war.

Diesen Donnerstag startet Jud Süß – Film ohne Gewissen von Regisseur Oskar Roehler mit Tobias Moretti als Ferdinand Marian in der Hauptrolle in den deutschen Kinos. Jud Süß – Film ohne Gewissen ist quasi die Making-Of Geschichte zum historischen Propagandafilm Jud Süß, der 1940 unter der Leitung von Joseph Goebbels entstand und als einer der perfidesten und einflussreichsten Nazifilme gilt. Bei der diesjährigen Berlinale hat Jud Süß – Film ohne Gewissen für Furore gesorgt.

Charme und sexuelle Anziehungskraft
Der historische Ferdinand Marian war in den späten 30er Jahren ein populärer Frauenschwarm und Schauspieler. Bekannt wurde er durch seine Rollen in Die Stimme des Herzens (1937) und in La Habañera (1938). Eine Schauspielschule besuchte er nie und riss für vier Jahre von seinem zu Hause aus, ging dann an verschiedene Theater in Österreich und Deutschland und feierte als Theaterdarsteller große Erfolge. 1940 schließlich spielte er die Rolle des Jud Süß im gleichnamigen Film von Veit Harlan. Nachdem er die Rolle dreimal ausgeschlagen hatte wie auch sechs seiner Schauspielerkollgenen tauchte Regisseur Veit Harlan persönlich vor seiner Haustür auf und machte dem Schauspieler unmissverständlich klar, dass er der Richtige für die Rolle sei und dies dem Wunsch des Ministers, Joseph Goebbels, entspräche.

Tatsächlich gefiel Ferdinand Marian die facettenreiche Doppelrolle der Süß-Variation von Veit Harlan auch, wie in Knillis Biografie „Ich war Jud Süß“ (Henschel-Verlag) nachzulesen. Ebenfalls fühlte er sich von dem Rollenangebot durch den berühmten Regisseur geschmeichelt. Marian war kein politisch interessierter Mensch und konnte die Paraderolle des jüdischen Menschen, wie ihn sich die Nationalsozialisten gerne ausmalten, trotzdem nicht mit seinem Weltbild in Einklang bringen. Bei einem Gespräch beim Propagandaminister Goebbels versuchte er seine Ablehnung mit künstlerischen Einwänden geltend zu machen. Doch der leicht südländische Typ Marian schien mit seinem Charme und der sexuellen Anziehungskraft perfekt, um die Goebbelsche Vision des menschlichen und verführerischen, innerlich verdorbenen Juden zu verkörpern. Goebbels ließ sich nicht beirren: Marian müsse ran. Dieser war zuerst verzweifelt, spielte dann jedoch die Rolle.

Die Wahrheit von Ferdinand Marian
Im Spielfilm Jud Süß – Film ohne Gewissen von Oskar Roehler findet sich Ferdinand Marian nach seinem Mitwirken in Jud Süß in den Nazikreisen zuerst gut zurecht, stürzt dann jedoch in eine private und berufliche Krise. Seine jüdische Ehefrau wendet sich ob seines Lebenswandels von ihm ab und wird alsbald deportiert. Auch seine jüdischen Freunde, von denen er einen in dem Gartenhaus der Familie versteckte, kommen in Konzentrationslager und schlagen den Gescholtenen nach ihrer Befreiung blutig. Marian wird nach Kriegsende die schauspielerische Tätigkeit verboten. Daran verzweifelt er und begeht, zerrissen von seinem inneren Konflikt von erlebtem Ruhm und Erfolg und der Realisation, welchem Machtsystem seine Vorstellung in die Hände gespielt hat, Selbstmord.

Im Gegensatz zu der Moretti-Version hatte der historische Marian jedoch keine jüdische Ehefrau und bot ebenfalls keinem jüdischen Freund ein Versteck. Der moralische Druck, die Betroffenheit sowie Erpressbarkeit durch seine jüdische Ehefrau, die zur Annahme der Rolle führten werden somit in Jud Süß – Film ohne Gewissen zwar dramatisiert, aber auch grob vereinfacht. Die Zuspitzung, dass der Schauspieler die Rolle zur Sicherheit seiner Frau annahm und sich durch die große Zusprache aus Nazikreisen für seine Schauspielerei von ihr entfremdet, verfälscht die Geschichte des Ferdinand Marian. Der wahre Marian wollte sich zwar von seiner widerwillig angenommenen Rolle und dem Jud Süss-Image entfernen, trat aber noch in weiteren NS-Filmen auf. Ebenfalls wurde der Suizid des Ferdinand historisch nur gemutmaßt und gilt als unwahrscheinlich. Der Schauspieler hatte einen Autounfall. Dafür spricht, dass zu der Zeit des Unfalls das Schauspielverbot gegen ihn längst wieder aufgehoben war und sich Beifahrer in dem Auto befanden, die überlebten.

Oskar Roehler zeigt dem Zuschauer einen Marian, dessen Leben dramaturgisch verdichtet und fiktional angereichert wurde. An und für sich ist das bei einem Spielfilm legitim. Es bleibt allerdings die Frage, mit welcher Intention sich der Regisseur an eine historische Figur herangewagt hat, deren Handeln er dann bloß simple und platt hinzugedichtete Faktoren zu Grunde legt, anstatt ihre Beweggründe und ihre wahre Geschichte wirklich zu ergründen.

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