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Zum Jahresabschluss soll es mir heute darum gehen, was es bedeutet, wenn es in einem meiner liebsten Filmländer, Japan, schneit. Ein Thema, dem man sicherlich ganze Bücher mit zahlreichen Beispielen und Verweisen widmen, das man filmhistorisch vermutlich weit zurück und darüber hinaus bis in die Literatur verfolgen und das kulturwissenschaftlich ausgiebig beleuchtet werden könnte.
Ich möchte hier aber keine Rahmen sprengen und nichts derart umfangreiches tun, sondern stattdessen einfach nur ein paar ausgewählte Filme nennen und Impressionen wirken lassen.
Besonders markant, wenn es um Schnee und Japan geht, ist vor allem der Klassiker Lady Snowblood aus dem Jahr 1973. Der kultige Rachestreifen ist die Verfilmung des gleichnamigen Mangas von Kazuo Koike und der Titel kommt nicht von ungefähr, spielen doch Schnee und Blut eine tragende symbolische Rolle.
Der Vater erschlagen, die Mutter vergewaltigt, scheint der Pfad des Lebens für Yuki Kashima schon vorgeschrieben zu sein. Aus Gewalt geboren, tritt sie als unschuldige Kreatur in eine Welt der Sünden. Im Gefängnis auf die Welt gekommen, könnte der Kontrast kaum größer sein. Und so wählt Koike für seine Figur den Namen Yuki (jap.: "Schnee"), um ihre Reinheit in einer unreinen Welt zu betonen.
Im Manga, wie auch im Film, gilt es für Yuki literweise das Blut jener zu vergießen, die ihr als Samen der Vergeltung erst das tragisch determinierte Dasein ermöglicht oder vielmehr aufgezwungen haben. Hier finden wir den Schnee nicht nur im Namen der Protagonistin vor, sondern auch als wichtiger ästhetischen Bestandteil der Erzählung in Form des teils winterlichen Settings. In den Augenblicken, in denen Yuki mit ihrem Katana den Todesstoß verpasst, wird das Blut zur Farbe und der Schnee zur Leinwand, auf dem sie ihr rotes Rachegemälde malt. Ein grausam-schönes Konzept, das auch andere Filmemacher, wie etwa Quentin Tarantino zu ähnlich denkwürdigem Schneeeinsatz inspirierte.
Yuki als Racheengel auf dem Pfad der Gerechtigkeit ist in der korrupten und nihilistischen Welt von Lady Snowblood eine Rarität. Gerade deshalb passt der Schnee auch so gut zu ihr, sind doch die Schneetage im alten Edo (und auch im heutigen Tokyo) begrenzt. Schnee ist vergänglich und verletzlich. Kaum ist er gekommen, ist er auch bereits wieder geschmolzen und übrig bleibt nichts als ein nostalgisches, sehnsüchtiges Gefühl. So verhält es sich für Autor Kazuo Koike und Regisseur Toshiya Fujita mit dem Guten und der Moral in den jeweils von ihnen zum Leben erweckten Visionen des vergangenen Japans.
Wo das Fallen der Schneeflocken in urbanen Gebieten für Staunen und Faszination sorgt, für ein ansehnliches Naturschauspiel, sieht es in ländlichen Regionen ganz anders aus. Dass ein komplett selbstversorgendes Leben außerhalb der Städte - vor allem damals - kein leichtes Unterfangen, sondern mitunter ein Überlebenskampf war, der einem alles abverlangte, zeigte bereits Kaneto Shindô mit seinem Film Die nackte Insel. Hier spielt sich sogar noch alles im Sommer ab. Was aber der Winter für das beschwerliche Bauerntum bereithält, zeigt eindrucksvoll The Tale of Iya von Regisseur Tetsuichirô Tsuta.
Nicht nur im Vergleich der beiden Filme, sondern eben besonders im Verlauf des letztgenannten lässt sich der Schnee als Mittel zur Kontrastierung beobachten. Hier allerdings weniger bloß auf metaphorischer oder symbolischer Ebene, sondern eben auch ganz konkret mit Bezug zur Realität als unangenehme Begleiterscheinung des Winters. All jene sommerlichen Erträge kann man ohnehin vergessen und das bisschen Wintergemüse, das die kalte Jahreszeit noch irgendwie überlebt, muss in - vor allem für ältere Menschen, wie den Großvater der Protagonistin - gesundheitsgefährdenden Bedingungen bei Wind und Wetter bearbeitet werden. Zauberhaft sieht das weiße Treiben natürlich auch hier aus, in den Tälern und Bergen viel mehr noch als in den gläsernen Häuserschluchten Tokyos, doch der Preis, den die Bewohner dieser Agrarregionen zahlen müssen, ist ungleich höher. Ein weiterer Film, der uns mit dem japanischen Landleben über sämtliche Jahreszeiten hinweg vertraut macht, ist der Zwei- oder strenggenommen Vierteiler Little Forest, namentlich Little Forest: Summer/Autumn und Little Forest: Winter/Spring.
Eines ist gewiss: Schnee ist - natürlich nicht nur im japanischen Kino - ein ästhetisches Element von besonderer Ausdruckskraft. Die angesprochene Vergänglichkeit des Schnees in der Stadt, aber auch seine unerbittliche, zugleich visuell bezaubernde Bedeckung von allem, was sich an Kultur und Natur auf dem Land erhebt, eine Art Verhüllung, ist letztlich nichts anderes als eine Ausprägung von Wabi-Sabi, eine der buddhistischen Vier Edlen Wahrheiten und ein ästhetisches Konzept, dass Japans Kunst und Künstler prägt. Hierbei geht es um die Impermanenz der Dinge und verborgene Schönheit im Unscheinbaren.
Die magische, sehnsüchtige Melancholie, die das schneebedeckte Japan hervorruft, hat auch der taiwanesische Regisseur Hsiao-hsien Hou erkannt, wenn er seinen Film Millennium Mambo in einer denkwürdig schönen Sequenz ausklingen lässt, wenn er seine Protagonistin aus dem physisch wie psychisch beengten Neonlabyrinth Taipehs in ein verschneites japanisches Städtchen entlässt und Gefühle von Nostalgie und Befreiung bei Figuren und Zuschauern hervorruft.
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