Eine Woche vor dem Mid-Season-Finale zeigt sich The Walking Dead sehr unentschlossen, was vor allem durch eine Figur zum Ausdruck kommt: Eugene (Josh McDermitt). Eingeführt in der 4. Staffel hat dieser bereits für einige Probleme im Kreis von Ricks (Andrew Lincoln) Gruppe gesorgt. Inzwischen befindet er sich sogar im Lager der Bösen und scheint sich von seiner ursprünglichen Survival-Familie abgewandt zu haben. Welches Spiel Eugene genau spielt, ist bisher aber unklar. Vage und hilflos bewegte er sich zuletzt durch die Räume des Sanctuarys, ohne je eine Entscheidung mit richtigen Konsequenzen zu treffen. In Time for After, der 7. Episode der 8. Staffel von The Walking Dead, rückt sein umstrittener Charakter einmal mehr in den Vordergrund der Ereignisse. Ein wirklicher Fortschritt in seiner Entwicklung ist allerdings nicht zu erkennen. Dafür erlebt wenigstens Rick einen kleinen Erfolg, ehe sein Plan in sich zusammenbricht.
Bevor Rick in den finalen Minuten der Episode sein blaues Wunder erleben soll, entführen die Drehbuchautoren Matthew Negrete und Corey Reed, die beide schon mehrfach diese Staffel zum Einsatz kamen, in die Räume des Sanctuarys und bringen uns auf den neusten Stand. Zuletzt herrschte hier nämlich eine große Unruhe, die beinahe in einen - für die Führungsriege verhängnisvollen - Aufstand ausgeartet wäre. Bevor die Situation jedoch eskalieren und eine Verlagerung der Machtverhältnisse stattfinden konnte, ist es Negan (Jeffrey Dean Morgan) mit seinem süßlichen Pfeifen gelungen, wieder Ordnung ins Chaos bringen. Wo seine Handlanger der Reihe nach aufgrund überstürzter Entscheidungen und zu wenig Weitsicht versagen, bleibt der Bösewicht der Serie nach wie vor die unangefochtene Nummer eins, wenn es darum geht, verängstigte Menschen zu manipulieren und bedingungslos seinem Willen zu unterwerfen.
The Big Scary U konnte in dieser Hinsicht tatsächlich einige interessante und mindestens auch ein paar unerwartete Akzente setzen. Die glorreiche Rückkehr des Psychopathen in die eigenen Reihen gehört mittlerweile jedoch wieder der Vergangenheit an und das Sanctuary folgt dem üblichen Alltagstrott. The Walking Dead vergisst momentan seine spannendsten Entwicklungen viel zu schnell, als würden diese bloß ausgekoppelt in tollen Einzelmomenten existieren, ehe sich die Figuren am Ende einer jeden Episode auf ihre Startpositionen zurückbegeben. Dass es dafür langsam, aber sicher zu spät sein sollte, dürfte spätestens im Zuge von Eugenes Begegnung mit Dwight (Austin Amelio) deutlich werden. Wo der überlaufende Savior von Negans Untergang spricht und damit so wagemutig wie kaum eine andere Figur dieser Episode auf eine Veränderung pünktlich zur Staffelhälfte drängt, verbarrikadiert sich Eugene in feigen Ausreden.
Die Ballade von Eugene und seinem fehlenden Mumm ist ein altes Lied, besiegelt durch seinen logisch motivierten Seitenwechsel. Selbst wenn es auf den ersten Blick nicht so wirken mag, greift bei Eugene der gleiche Überlebensinstinkt, der auch dafür verantwortlich ist, dass Rick noch unter den Lebenden weilt. Der Unterschied ist lediglich die Form, wie er zum Ausdruck kommt. Während sich Rick aktiv in Herausforderungen stürzt, sträubt sich tief im Inneren von Eugene alles dagegen, seine eigene Stimme zu erheben. Stattdessen macht er sich klein und erkennt darin die beste Chance, um den nächsten Tag noch zu erleben - unter Umständen spielt er dann eben Negan zeitweise in die Hände, bevor er es sich im Angesicht einer erneuten Veränderung des Status quo wieder anders überlegt und im Schutz einer anderen Gruppe sein Zelt aufschlägt. Doch hat er sich damit bereits schuldig gemacht? Time for After drückt sich um einen endgültigen Kommentar.
Neben der Konfrontation mit Dwight entpuppt sich insbesondere der Austausch mit dem verletzten Gabriel (Seth Gilliam) als ausschlaggebendes Ereignis der erzählerischen Stagnation. Während Eugene jegliche göttliche Berufung für absurd erklärt, stellt ihm sein Gegenüber mehr oder weniger überzeugend eine erlösende Offenbarung in Aussicht. Es sei noch nicht zu spät, etwas Gutes zu tun. Solange sich Eugene auf die Zeichen der Zeit verlässt, besteht noch Hoffnung. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus, wie die Konfrontation mit Laura (Lindsley Register) und damit einhergehende Erinnerungen beweisen. Eugene war längst in der Lage, seinen eigenen Fußabdruck in der Zombieapokalypse zu hinterlassen. Schlussendlich hat ihn aber die Tapferkeit verlassen, sodass jener Ort, der so dringend einer Veränderung bedarf, bis heute in alten Strukturen gefangen bleibt. Gerade diese Strukturen sind es wiederum, die Eugene so glücklich machen, denn damit kann er sich arrangieren.
Der Kompromiss als Schlüssel zum Überleben: Mit Alkohol versucht Eugene, die unangenehmen Gedanken zu töten. Ein ruhiges Gewissen ist ihm spätestens nach dem Handschlag mit Negan nicht mehr gegönnt. Also denkt er an die einfachen Menschen, die früher oder später als Kollateralschäden sterben müssen. Negan drückt sich sehr deutlich und sehr bestimmend ihm gegenüber aus: Rick mag das gesamte Sanctuary zu Boden brennen, aber er werde überleben. "I'm too good at this shit." Eugene versteht die indirekte Drohung, gibt Negan klein bei und will sich heimlich (?) mit den Normalsterblichen solidarisieren. Wäre da nur nicht Dwight, der auch ein Wörtchen mitzureden hätte, bevor Eugene Sashas iPod mit einem selbst gebastelten Flieger schicken kann, um die Zombies vom Sanctuary zu wegzulocken. Doch dann grätscht Daryl (Norman Reedus) den beiden mit seinem Müllauto sprichwörtlich dazwischen und ebnet den hungrigen Beißern ihren Weg ins Sanctuary.
In seiner Rastlosigkeit, endlich Taten zu vollbringen, dürfte Daryl ebenso Rick einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Dieser setzt gerade alles daran, um die Scavengers entgegen jüngerer Differenzen zu mobilisieren. Während über Skulpturen philosophiert wird und Ricks blaue Shorts ins Zentrum der Geschichte rücken, bekommen wir im Zuge dessen einen weiteren Gladiatoren-Zombie zu Gesicht, der schließlich mit abgerissenem Kopf neben Jadis (Pollyanna McIntosh) im Dreck liegt, sodass Rick erneut von seiner unvergleichlichen wie überzeugenden Rhetorik Gebrauch machen kann: "You can play your games, draw your pictures, sculpt whatever shit you want, but I am leaving! After that maybe you should just run." Das war ein langer, holpriger Weg, um diesen offensichtlichen Punkt zu erreichen. Immerhin kann die fiese Pointe zum Schluss Eindruck hinterlassen. Denn nun steht Rick - vor Schock eingefroren wie eine der zuvor erwähnten Skulptur - tatsächlich komplett entblößt vor Jadis.
Die 8. Staffel von The Walking Dead wird Sonntags in den USA auf AMC ausgestrahlt und ist hierzulande auf FOX zu sehen. Wer noch mehr über den Staffelauftakt erfahren will, kann heute um 18:00 Uhr bei unserem Livestream auf YouTube vorbeischauen.
Was bisher geschah:
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 1: Gnade über Zorn
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 2: Wir kommen, um zu töten
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 3: Monster ohne Gewissen
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 4: Der König der Toten
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 5: Negan im Beichtstuhl
- The Walking Dead - Staffel 8, Folge 6: Rick, der zu viel redet