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Über die Leichtigkeit des Fliegens

14.10.2014 - 12:00 Uhr
Haruo fliegt mit Sophie über die Dächer der Stadt.
Universum/Buena Vista
Haruo fliegt mit Sophie über die Dächer der Stadt.
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Meine Lieblingsszene:

Seit jeher war es der Wunsch der Menschen zu fliegen. Für einen Zauberer hingegen ist das kein Problem. „Du musst nur die Beine ausstrecken. Lauf einfach weiter!“, sagt der charmante Magier Haruo zur Hutmacherin Sophie, während sie erschrocken nach unten blickt: Und Tatsächlich! Sie schweben über den Dächern der Stadt. Fliegen war ganz einfach.

Die Szene stammt aus dem 2004 erschienenen Anime des japanischen Studios Ghibli. Der Film trumpft mit liebevoll illustrierten Details, tiefgründigen Charakteren, einzigartiger Geschichte und der fantastischen Musik von Joe Hisaishi auf. Der Roman ‚Sophie im Schloss des Zauberers‘ von Diana Wynne Jones diente dabei als Vorlage.

Aber gehen wir erst einmal zum Anfang der Szene zurück: Haruo hilft der schüchternen Sophie aus einer brenzligen Lage, zieht sie aber durch seine Anwesenheit gleichzeitig in die nächste hinein. „Benimm‘ dich ganz normal, ich werde verfolgt“, flüstert er mit einem charmanten Lächeln, das eigentlich nicht zur gefährlichen Situation passen möchte. Schwarze schleimige Monster, Diener der Hexe aus dem Niemandsland, lauern ihnen auf. Von hinten kriechen sie dem Paar hinterher, von vorne schnüren sie ihnen den Weg ab. Haruo und Sophie versuchen in den verwinkelten Gassen der Fachwerkstadt zu entkommen. Doch als ihnen jede Fluchtmöglichkeit abgeschnitten wird, bleibt nur noch der Weg nach oben. Zauberer Haruo macht seinem Beruf alle Ehre und fliegt mit Sophie über die Häuser der Stadt.

Doch was macht diese Szene so besonders? Schlicht: ihre Leichtigkeit. Haruo fliegt mit Sophie los, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Es werden keine Erklärungen geliefert, wie es funktioniert. In ihrer Welt ist es nur logisch. Zauberer ist schließlich ein anerkannter Beruf und Magie ein Handwerk. Sophie und Haruo fliehen vor ihren Feinden auf eine so beschwingte Art und Weise, wie wir es uns im Alltag wohl auch manchmal wünschen. Unter ihnen ziehen die Soldaten und Panzer der Stadt in den Krieg, doch hoch oben über den Dächern, scheint es keine Bedeutung mehr zu haben. Die Musik, ein ruhiges Orchester, unterstreicht das Gesamtpaket. Es lässt Probleme vergessen und das Leben bejahen.

„Du musst keine Angst haben“, sagt Zauberer Haruo zu Sophie, als sie erschrocken versucht zu realisieren, was passiert ist. Keine Angst vor der Höhe und dem Fallen. Keine Angst vor dem Krieg, der in ihrem Land tobt und ganze Städte vernichtet. Keine Angst vor den Soldaten und feindlichen Bombenangriffen. Auf dem Boden tanzen die Kämpfer ihren letzten Tanz mit ihren Freundinnen und Frauen, bevor sie vielleicht nie wiederkehren. Der Krieg beginnt unscheinbar und schleichend, und ist dennoch den kompletten Film durch erschreckend präsent. Aber für diesen einen Augenblick, für diese eine Szene, wirkt er weit entfernt. Wie Ameisen sehen die Panzer aus und scheinen aus einer anderen Welt zu kommen.

Diese Szene betont das Schöne und Gute. Der Tanz, die Musik, die Freiheit. Sie verursacht beim Betrachter das Gefühl, sofort losfliegen zu können. Es kribbelt im Bauch und das Herz füllt sich mit einer unstillbaren Sehnsucht. Alles ist möglich. Auch Sophie wird das klar, denn um es in Haruos Worten auszudrücken: „Das klappt doch ganz gut.“ Als er schließlich Sophie auf der Veranda der Bäckerei ihrer Schwester absetzt und verschwindet, hinterlässt er nicht nur bei ihr die Frage: War das nur ein Traum?



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