Porträts und Geburtstagstexte schreiben, heißt Narrationen über ein Leben kolportieren. Im Falle von Ulrich Tukur läuft die gewöhnliche Story auf den Zadek-Absolventen hinaus, der gar kein Schauspieler werden wollte, den international gefragten Darsteller, der dem Liedgut der zwanziger bis fünfziger Jahre fröhnt. Solche Geschichten sind natürlich immer auch Teil der eigenen Legendenbildung und das mindestens ebenso sehr wie die Rollen, die ein Schauspieler im Laufe der Jahre annimmt. Ulrich Tukur jedenfalls zieht die historischen Persönlichkeiten nur so an. Die älteren Titel in seiner Filmografie (Der Stellvertreter, Stauffenberg, John Rabe) geben davon Auskunft. Sein wichtigster Film dieses Jahr, Rommel, reiht sich nahtlos in das Schema ein. Heute feiert die nach eigenen Worten asynchrone Persönlichkeit ihren 55. Geburtstag und wir gratulieren.
Obwohl er in der Rolle des eiskalten SS-Offiziers Kittel in Peter Zadeks Inszenierung von Ghetto berühmt geworden ist, ziehen Fernsehen und Kino Ulrich Tukur immer wieder zu den guten Deutschen. Figuren wie John Rabe, Henning von Tresckow und Kurt Gerstein haben es sich im (NS-)System vergleichsweise gemütlich gemacht, bis sich irgendwann das Gewissen einschaltet. Es sind nicht die Helden, die Rebellen, die von Anfang an Widerstand leisten, vielmehr müssen sie im Verlauf der Filme erst aus dem gut geschützten bürgerlichen Kokon ausbrechen. Das ist dann der Moment, in dem sie über sich hinauswachsen, der Moment, in dem gewöhnliche Männer ihre wahre Größe zeigen, um es etwas pathetisch auszudrücken.
Die Guten spielt Ulrich Tukur wie im Schlaf. Es sind nicht seine interessantesten Rollen, was gar nicht abwertend gemeint ist. Den Bösen ist naturgemäß eine größere Anziehungskraft zu eigen, etwa seinem gelangweilt mordenden Yuppie mit den eisigen Augen in Tatort: Das Böse, einem der besten Antagonisten der Tatort-Geschichte, oder der schmierige Oberstleutnant Anton Grubitz in Das Leben der Anderen. Dessen Ehrgeiz scheint viel gefährlicher als der unbedingte Glaube an das System, den seine Kollegen an den Tag legen. Die ideologisch Verblendeten liegen ihm allerdings ebenso gut, wie sein linientreuer NS-Journalist in Nordwand und der Ex-Waffen-SS-Mann Willem Sassen aus Eichmanns Ende: Liebe, Verrat, Tod beweisen.
Gut und Böse, das sind die mythischen Kategorien der großen Rollen. Am besten aber, und das mag eine wilde Behauptung sein, ist Ulrich Tukur, wenn die Figuren weder im Guten noch im Bösen ihre Größe beweisen. Kleine Verlierer wie sein Kunstmaler in Heimkehr der Jäger, der an der schönen neuen Welt verzweifelt, oder der unscheinbare Mann, der in Das Vaterspiel in einem kahlen Raum sitzt und nüchtern von Pogromen berichtet. Das sind oftmals gut versteckte Auftritte wie in Die Axt von Costa-Gavras, wo ihm als Arbeitsuchender von Einstellung zu Einstellung die Würde aus den Händen zu gleiten droht. Es sind die Figuren, die, vom Ballast der Geschichte entschlackt, ein Eigenleben entwickeln und, Tukur-typisch, trotzdem nur selten mit der Gegenwart zurande kommen. Es sind nicht die, die sich überwinden und die großen Entscheidungen treffen, stattdessen werden sie von denen der anderen zermalmt.
Die kleinen Männer finden sich nur selten unter den Rollen Ulrich Tukurs. Die Rommels dieser Welt mögen attraktiver und lukrativer wirken. Für größere Aufmerksamkeit sorgen sie allemal. In die Narration vom aus der Zeit gefallenen Schauspieler, der sein Kinderzimmer mit Todesanzeigen tapezierte, sowie mit seinen Rhythmus Boys durchs Land tingelt, um für kurze Zeit die Goldenen Zwanziger auferstehen zu lassen, fügen sie sich geschmeidig ein. In unsere Zeit, die sich kontinuierlich an vergangenen Moden, Liedern, Filmen abarbeitet, als hätte sie nichts originäres zu bieten, passt der asynchrone Ulrich Tukur damit überraschend gut.