Was ist der Mega-Erfolg von Avengers 3 überhaupt wert?

25.05.2018 - 14:40 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Avengers 3: Infinity WarDisney
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Der Erfolg von Avengers 3: Infinity War wirkt bombastisch. Steigende Kinopreise und abnehmende Zuschauerzahlen zeichnen hingegen ein ernüchterndes Bild. Warum Rekord-Einspielergebnisse eben nicht allein die erfolgreichsten Filme aller Zeiten ausmachen sollten, erfahrt ihr hier.

In dieser Woche musste Avengers 3: Infinity War seinen ersten Platz in den US-amerikanischen Kino-Charts wegen des erfolgreichen Starts von Deadpool 2 räumen. Auch wenn der 3. Avengers-Film seine Pole-Position an den Neueinsteiger abgeben musste, steuert er international geradewegs auf die 2-Milliarden-Dollar-Marke zu, die in der Kinogeschichte bisher von nur drei Filmen überschritten wurde. Auch auf dem US-amerikanischen Markt stehen die Chancen nicht schlecht, sich noch weiter in der Bestenliste hochzukämpfen. So wird er vermutlich während seiner Kinolaufzeit noch Star Wars: Die letzten Jedi und seinen Vorgänger Marvel's The Avengers überholen und sich somit auf dem 6. Platz der erfolgreichsten Filme in den USA setzten. Das Erreichen dieser Meilensteine klingt beeindruckend. Doch was ist die Platzierung von Avengers 3 unter den "erfolgreichsten Filmen aller Zeiten", gemessen an seinem Einspielergebnis, überhaupt wert? Die Gesamteinnahmen der US-amerikanischen Kinobranche verzeichnen trotz stetig sinkender Zuschauerzahlen seit 2002 einen Aufwärtstrend. Wie kann das sein?

Neben anderen Faktoren, wie der ausbeuterischen Verleihpolitik großer Filmstudios und der zunehmenden Konkurrenz des Fernsehens sowie des Internets, ist die entscheidende Antwort für dieses positive Ergebnis: Inflation. Sie sorgt dafür, dass neue Filme ständig die Rekord-Einnahmen von alten Filmen brechen, was aus wirtschaftlicher Sicht ein unumgänglicher Prozess ist. Dies liegt nicht nur an ihrer Popularität, sondern maßgeblich an den jährlich ansteigenden Preisen von Eintrittskarten. Diese wachsen nicht nur durch die Inflation, sondern werden von der Branche zusätzlich künstlich aufgebläht. Die schwindende Kundschaft versucht Hollywood durch Preiszuschläge für Überlänge, 3D oder besondere Kino-Formate wie IMAX auszugleichen.

Die Branche steckt in einer Krise, welche sie bisher nicht zu lösen vermochte. So zeigt ein direkter Vergleich, dass 2002 ein Kinoticket durchschnittlich nur 5,81 Dollar kostete und 2018 bereits 9,16 Dollar (Box Office Mojo ). Zwangsläufig wird aufgrund der Inflationsrate und dieser Nebenfaktoren in den nächsten 10 Jahren ein neuer Kino-Hit das Einspielergebnis von Avengers 3 und vermutlich sogar das des bisher weltweit kommerziell erfolgreichsten Films Avatar übertreffen, obwohl ihn weniger Menschen im Kino gesehen haben werden. Daher sollte neben dem Bewertungssystem der Branche mit Einspielergebnissen - aus dem Interesse der Zuschauer - auch die Anzahl der verkauften Eintrittskarten mit in die Erfolgsbewertung eines Films einbezogen werden und sich auch in den Erfolgslisten wiederfinden.

Wieso werden diese für Zuschauer irreführenden Ranglisten verwendet?

Wir Menschen sind darauf konditioniert, den Erfolg von etwas durch seine Einnahmen zu messen. In unserer Gesellschaft ist eine Person besonders erfolgreich, wenn sie ein hohes Gehalt hat. Für die Einspielergebnisse haben wir also bereits ein verinnerlichtes Verständnis. Daher schlägt sich dies auch in der Filmbranche nieder, die dieses Maß übernimmt. Sie tut dies aus rein wirtschaftlichem Interesse. Hohe Einnahmen sind die Grundlage der Branche. Sie sichern und bestimmen die Budgets für kommende Projekte. Somit sind die Einspielergebnisse für die Filmwirtschaft das wichtigste Maß. Ob 100.000 oder 100.000.000 Menschen für dieses Einspielergebnis sorgen, ist der Branche egal. Dass ein gebrochener Rekord auch aus marketingtechnischer Sicht sicherlich nicht schadet, spielt der Industrie nur in die Karten. Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen, welches seine Einschaltquoten richtigerweise als Erfolgsmaß berücksichtigt, verwendet die internationale Filmbranche häufig nur ihre Einspielergebnisse, wodurch ein verzerrtes Bild des realen Erfolgs entsteht.

Die Branche ist sich außerdem bewusst, dass sie durch die enorme Rivalität zu Fernsehen und Internet, trotz steigender Population, womöglich nie wieder an die glorreichen Zuschauerzahlen vergangener Zeiten anknüpfen wird. Das derzeit gebräuchliche Bewertungssystem beizubehalten, bedeutet für sie, ewig neue Erfolge und Rekorde verzeichnen zu können. Eine Krone, die sich Studios häufig zu unrecht aufsetzen. Eine aktuelle Rangliste der erfolgreichsten Filme der USA nach ihren Einnahmen sieht wie folgt aus:

Es ist eine beeindruckende Liste, in der Avengers 3: Infinity War aus diesem Jahr auf dem 8. Platz landet. Auch alle anderen Filme sind, bis auf einen, allesamt aus dem letzten Jahrzehnt. Werfen wir jedoch einen Blick auf die verkauften Eintrittskarten der jeweiligen Filme, stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie kann es sein, dass Titanic mit knapp 30 Millionen mehr verkaufen Tickets als Star Wars: Das Erwachen der Macht nur auf Platz 4 dieser Liste steht? Das ist genau der Grund, weswegen es inflationsbereinigte Listen der tatsächlich erfolgreichsten Filme gibt. Sie stellen alte und neue Filme in den direkten Vergleich und zeigen, was Filme bei aktuellen Ticketpreisen heutzutage einspielen würden, angenommen, es würden gleichviele Eintrittskarten verkauft. Diese Listen verwenden die Zuschauerzahl bzw. die Anzahl der verkauften Tickets als ausschlaggebendes Maß für den Erfolg eines Films.

Auf der Seite Box Office Mojo, die über die Einspielergebnisse und Besucherzahlen der Filmbranche berichtet, findet sich sowohl eine inflationsbereinigte Liste der USA, als auch eine internationale Liste. Die Inflation ist jedoch von Land zu Land und je nach Zeitraum unterschiedlich. Für die Erstellung der internationalen Bestenliste hat Box Office Mojo einfach die US-amerikanische Inflationsrate angewendet und nicht die für jedes Land spezifische Inflation berücksichtigt, sodass ihr Ergebnis lediglich als Richtwert dient. Um möglichst akkurate Ergebnisse zu liefern, orientieren sich die hier gezeigten Diagramme deshalb an dem US-Markt. Eine inflationsbereinigte Liste der USA zeigt, dass die erfolgreichsten Filme andere sind, als es in den geläufigen, unbereinigten Listen vorgegaukelt wird:

Hier steht nach wie vor die Literatur-Verfilmung Vom Winde verweht aus dem Jahr 1939 unangefochten auf dem 1. Platz, mit einem inflationsbereinigten Einspielergebnis von 1,85 Milliarden US-Dollar und sage und schreibe 202 Millionen verkauften Eintrittskarten. Weit abgeschlagen auf dem 50. Rang muss der "Mega-Erfolg" Avengers 3, mit einem Einspielergebnis von 601 Millionen US-Dollar und einer Besucherzahl von 65 Millionen, Platz nehmen. Infinity War müsste somit insgesamt mehr als das Dreifache seiner momentanen Zuschauer ins Kino locken, um dem tatsächlichen Erfolg des Melodrams das Wasser reichen zu können. Im Gegensatz zur unbereinigten Rangfolge, die bis auf Titanic ausschließlich Filme nach den 1990er Jahren listet, ist deutlich zu sehen, dass Filme früherer Jahrzehnte reell weitaus erfolgreicher waren und größere Zuschauerzahlen in den USA ansprachen, als es heutige Filme tun. Dabei darf die geringe Konkurrenz für die Filmindustrie in der Freizeitbranche, welche sich dem frühen Kino im 20. Jahrhundert entgegenstellte, nicht außer Acht gelassen werden. Filme waren zu dieser Zeit - anders als heute - zudem ausschließlich im Kino zu sehen und erschienen nicht bereits wenige Monate nach Kinostart auf VoD-Diensten oder auf DVD. Das gleicht einer Monopolstellung im Unterhaltungssektor, von der die heutige Filmbranche nur noch träumen kann.

Dennoch waren frühere Filme solche, bei denen der Blockbuster noch eine Bedeutung hatte und die Leute in der Tat in Häuserblock-langen Schlangen für den Kinobesuch eines Films anstanden. Allerdings ist auch die bereinigte Liste mit Vorsicht zu genießen. Die markierten Filme (*) wurden seit ihrem Kinostart mehrere Male in den Folgejahren im Kino gezeigt, sodass auch ihre Erst-Ergebnisse unter den hier genannten liegen dürften. Der derzeitig bejubelte Rekordbrecher Avengers 3: Infinity War dürfte es auch trotz Berücksichtigung dieses Makels nicht in die Top 20 der erfolgreichsten Filme schaffen.

Was können wir nun glauben?

Unbereinigte Listen über die erfolgreichsten Filme der Kinogeschichte nach Höhe des Einspielergebnisses sind schön und gut. Sie dienen aber lediglich der Filmindustrie selbst als angemessenes Maß. Sie beeindrucken Leser durch Milliarden-Einnahmen und stacheln die ohnehin schon enormen Hypes um bekannte Franchises zusätzlich an. Immerhin hat die Fortsetzung des Star-Wars-Universums Star Wars: Das Erwachen der Macht nur knapp den Einzug in die Top 10 verfehlt, wenn er nicht sogar die Platzierung vor Schneewittchen und die sieben Zwerge aufgrund dessen Mehrfach-Aufführung verdient hätte. Es gibt also auch heutzutage noch Filme, die es trotz Inflationsbereinigung in die Rangliste der erfolgreichsten Filme schaffen.

Für uns sollte eine derartige Liste die Zuschauerzahlen mehr als das Einspielergebnis in den Mittelpunkt rücken. Ihr könnt also in Zukunft mit bedächtiger Nüchternheit betrachten, wie ein neuer Film das Einspielergebnis von Avengers 3 übertrifft. Den Fehler des Systems und seine Gründe kennt ihr schließlich jetzt.

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