Was ist eigentlich eine Szene?

22.09.2014 - 16:30 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der Regisseur bei der Arbeit
Arthaus
Der Regisseur bei der Arbeit
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Was ist eigentlich eine Szene? Ein paar von euch moviepiloten haben sich das gefragt, als wir euch aufgerufen haben, bei unserer Aktion Lieblingsszene mitzumachen. Wir geben euch eine Antwort. Vielleicht.

Bis zum 5. Oktober 2014 habt ihr Zeit, uns euren Beitrag zur Aktion Lieblingsszene zu schicken. Mehr dazu erfahrt ihr in unserem Beitrag zu den Regeln und das könnt ihr gewinnen. Aber was ist eigentlich eine Szene, wann beginnt sie, wann endet sie? So mancher moviepilot hat sich das gefragt und wir versuchen, die definitive Antwort zu geben, die Jahrzehnte filmwissenschaftlicher Diskussionen überflüssig macht. Gut, das ist ein bisschen übertrieben. Aber zumindest wollen wir all jenen unter euch, die sich zum Frühstück nicht mal eben die große Syntagmatik von Christian Metz  reinziehen, eine Vorstellung davon geben, was Einstellungen, Szenen und Sequenzen unterscheidet. Aber schon im Vorfeld sei gesagt: Eure Kreativität geht bei der Aktion Lieblingsszene vor, schreibt also über Momente, die euch besonders berühren oder beeindrucken und lasst euch nicht durch streitbare Definitionen abschrecken!

Die Definition

Was liegt als Beispiel zur Erklärung komplexer filmischer Strukturen näher als eine Sequenz voller Mord, Geballer und Al Pacino? Genau, nichts, und wer aufgepasst hat, dem ist das S-Wort im vorangegangenen Satz aufgefallen. Eine der berühmtesten Sequenzen (nicht Struktur, duh!) aus Heat von Michael Mann ist der Banküberfall von Neil McCauleys Truppe, der in einer Straßenschlacht mit der Polizei eskaliert.

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Warum bezeichnen wir diese zehn Minuten als Sequenz? Weil eine Sequenz "ein Stück Film oder ein Erzählsegment [ist], das räumlich, zeitlich, thematisch und/oder szenisch zusammenhängt oder eine relativ autonome, in sich abgeschlossene Einheit bildet." So definiert es der Filmwissenschaftler Hans J. Wulff im Sachlexikon des Films1. Soweit, so unscharf für den Laien. Also nochmal: Warum ist der Banküberfall samt Schießerei keine Szene, aber eine Sequenz?

Räumlich und zeitlich ist die Sequenz zwischen dem Betreten der Bank und dem Tod von Michael Cheritto (Tom Sizemore) relativ klar von dem, was davor und danach kommt, getrennt. Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich Banküberfall und Schießerei als Einheit betrachten. In manchen Filmen werden solche Segmente zusätzlich durch Ab- und Aufblenden oder andere formale Mittel markiert, ein bisschen so, als würde ich in einem Text eine Zwischenüberschrift einfügen, um zu markieren, dass ein neuer Themenabschnitt beginnt.

Die Qual der Wahl

Das "Problem" mit der Unterscheidung von Szenen und Sequenzen ist allerdings, dass einige der von Wulff genannten Merkmale auch auf Szenen zutreffen. Deswegen übergehen manche filmwissenschaftlichen Lehrbücher den Begriff der Szene gleich ganz. Im Theater werden Szenen in der Regel als Segmente eines Dramas begriffen, die eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung bilden. Die inhaltliche und formale Nähe zum Theater im frühen Film, der noch ohne komplexe Kamerabewegungen und Veränderungen der Einstellungsgröße auskam, führte dazu, dass Begriffe wie dieser übernommen wurden.

Lange Rede, kurzer Sinn, könnt ihr Szenen dadurch bestimmen, dass Kriterien wie Raum, Zeit oder Thema viel enger greifen. So würde ich - und mancher widerspricht mir vielleicht - den eigentlichen Banküberfall in Heat als Szene innerhalb einer Sequenz bezeichnen. Das liegt an seiner räumlichen (die Bank), zeitlichen (Beginn bis Ende des Überfalls) und thematischen (der Überfall, die beteiligten Figuren) Einheit. Sobald McCauly und Kollegen siegesgewiss in den Fluchtwagen steigen, beginnt eine neue Szene, denn mit Vincent Hanna und den Polizisten betreten neue Figuren die "Bühne", der Ort ist ein anderer (die Straße) und thematisch schließt sich ein neues Segment an (Fluchtversuch und Schießerei), das zwar zeitlich in einer Kontinuität (ohne große Sprünge) mit dem vorangegangenen Geschehen liegt, aber sich durch eine Handlungswendung relativ klar abgrenzen lässt: Der Überfall ist gescheitert, die Konfrontation beginnt. 



Wir wissen, dass wir... ein bisschen mehr wissen

Das klingt alles recht logisch, trotzdem könnte die Schießerei selbst auch als Sequenz beschrieben werden, die aus verschiedenen Szenen besteht. Warum? Weil es letztendlich darauf ankommt, wie detailgenau eine Analyse durchgeführt wird. Wenn Ted Levines Bosko auf der Straße erschossen wird, dann haben wir es ebenfalls mit einer Szene zu tun, die wiederum aus verschiedenen Einstellungen besteht. Einstellungen sind die kleinsten Segmente eines Films, lassen wir einzelne Frames außen vor. Klassischerweise werden jene Momente als Einstellungen bezeichnet, die zwischen zwei Schnitten liegen2. Es gibt verschiedene Einstellungsgrößen , die den von der Kamera aufgenommenen Bildausschnitt näher beschreiben. Wir sehen also, wie Levines Bosko auf Val Kilmers Figur schießt - Schnitt - Kilmer sich umwendet - Schnitt - und auf Levine schießt - Schnitt - Levine schießt - Schnitt - Kilmer schießt - Schnitt - Bosko getroffen wird - Schnitt - und tot zu Boden fällt. Das alles eingefangen in verschiedenen Einstellungsgrößen und Kamerawinkeln, untermalt von dröhnenden Soundeffekten.

"Klassischerweise" bedeutet in diesem Zusammenhang aber, dass dem nicht immer so ist. Eine Plansequenz ist nach obiger Definition eine einzige Einstellung, da sie ohne Schnitt auskommt. Demnach wäre Russian Ark eine 90-minütige Einstellung. Der Film kann auch gern so bezeichnet werden, nur hilft das niemandem weiter, der seine Bestandteile näher beschreiben will. Komplexe Kamerabewegungen zwischen Schnitten können also dazu führen, dass sich Einstellungsgrößen verändern, sich Szenen innerhalb einer Sequenz innerhalb eines Films abwechseln.  


 

Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Da ihr aber für moviepilot kein Sequenzprotokoll und auch keine Filmanalyse anfertigen sollt (aber natürlich könnt), sondern euer Herzblut in einen Text über eure liebsten Filmmomente gießen mögt, sei nur so viel gesagt: Unsere Aktion heißt zwar Aktion Lieblingsszene, damit sind aber weder Sequenzen noch Einstellungen ausgeschlossen. Vielmehr soll es um in sich weitgehend abgeschlossene Segmente eines Films oder einer Episode gehen, die euch aus verschiedensten Gründen etwas bedeuten. Das können winzige Todesszenen sein wie die beschriebene aus Heat, ein einziger Blick oder eine 20-minütige Plansequenz.

Wenn ihr schon immer mal über die Landungssequenz aus Der Soldat James Ryan schreiben wolltet, dann könnt ihr sie im Ganzen zum Thema nehmen, nur über die Szene schreiben, in der Tom Hanks' Figur das Sterben am Strand beobachtet oder die einzelne Einstellung eines Helmes im blutroten Meerwasser. Ihr könnt über den Moment in New Moon - Bis(s) zur Mittagsstunde schreiben, in der die Monate an Bella vorbeiziehen oder die Sequenz in Citizen Kane, die Jahre einer Ehe am Frühstückstisch bitter zusammenfasst. Ihr habt gerade einen Satz gelesen, der Twilight und Orson Welles auf eine Stufe stellt. Wie ihr seht, sind eurer Fantasie und Kreativität also so gut wie keine Grenzen gesetzt. Alles, was euch jetzt nocht bleibt, ist, in die Tasten zu hauen.

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1 Wulff, Hans J.: Sequenz. In: Koebner, Thomas (Hrsg.): Reclams Sachlexikon des Films. Reclam Verlag, Stuttgart 2002, S. 247

2 Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Metzler, Stuttgart 2001, S. 56

Mach mit bei der Aktion Lieblingsszene. Was es bei der diesjährigen moviepilot-Action zu beachten gibt, kannst du in den Regeln nachlesen. In der Grafik findest du unsere Sponsoren: Im Artikel mit den Preisen kannst du dich noch genauer informieren.


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