Letzte Woche erschien das neue Buch Die Tribute von Panem L. Der Tag bricht an * und als Fan der bisherigen Romane und Filme musste ich natürlich sofort in die Welt der Hungerspiele zurückkehren. Eine Woche später habe ich Haymitchs Geschichte verschlugen und Gewissheit, dass die nächste Verfilmung The Hunger Games: Sunrise on the Reaping die besten Voraussetzungen zu einer mitreißenden, verheerenden und einnehmenden Erzählung bietet. Warum, will ich hier spoilerfrei erklären.
Rückkehr auf vertrautes Gebiet: Die Tribute von Panem L werfen uns in die erschütternden 50. Hungerspiele
Nachdem Katniss Everdeen und Co. das Schreckensregime des Kapitols beendet haben und die unterdrückten Distrikte befreit sind, bleibt nur eine Art, um in die dystopische Sci-Fi-Welt der Tribute von Panem zurückzukehren, ohne am hart erarbeiteten Happy End zu kratzen: Wir reisen in der neuen Hunger Games-Geschichte in die Vergangenheit. Nicht so weit wie zuletzt bei dem Prequel Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes, das zur Zeit der zur Zeit der 10. Hungerspiele angesiedelt ist. Sondern zu den 50. Hungerspielen (wie die römische Zahl L im deutschen Buchtitel verrät), also 24 Jahre vor Katniss' erstem Arenaabstecher.
Es ist das Jahr, in dem Haymitch Abernathy, Katniss' späterer Mentor, in den Überlebenskampf geworfen wird. Lesende von Suzanne Collins' Buchvorlagen wissen seit dem zweiten Tribute von Panem-Buch (genauer gesagt: sechs Seiten in Kapitel 14), dass Haymitch einst das zweite Jubel-Jubiläum mit doppelter Opfer-Anzahl an Tributen gewann. Die Zusammenfassung der Ereignisse zu lesen und sie selbst Seite für Seite mitzuerleben, sind aber zwei sehr verschiedene Paar Schule und so braucht der neue Roman nur wenige Absätze, um einen zuverlässig in die grausame Welt von Distrikt 12 und den Hungerspielen zurückzubringen.
Haymitch lässt seine große Liebe Lenore (eine Covey-Sängerin) daheim zurück und wird mit drei weiteren Tributen ins Kapitol verschleppt. Von dem befreundeten, viel zu jungen Mädchen Louella einmal abgesehen, kann er seine Co-Tribute nicht ausstehen: Maysilee stammt aus relativ wohlhabenden Verhältnissen und ist das arroganteste Mädchen seiner Heimat. Wyatt wiederum gehört zur armen Familie, die in Distrikt 12 dafür verhasst sind, dass sie die Wetten auf die Hungerspiele organisiert; als Quotenmacher berechnet er, welche Chancen welcher Tribut mitbringt.
Angesichts des gemeinsamen Feinds, dem Kapitol, müssen die vier sich trotzdem zusammenraufen. Mehr noch: Erstmals formt sich vor den Spielen nicht nur das Bündnis der "Karrieros" (also der starken, kapitolfreundlichen Tribute, die fast immer gewinnen). Der 12-jährige Ampert als Distrikt 3 schafft es, die meisten der Underdog-Distrikte zur Gruppe der "Newcomer" zusammenzuschweißen, die durch Überzahl und Köpfchen statt Körperkraft siegen wollen. Haymitch überlegt außerdem, wie er vor seinem Tod noch ein Zeichen setzen kann und schmiedet einen Plan, die Arena zu zerstören. Mögen die Hungerspiele beginnen ...
Können Haymitchs Hunger Games das Prequel-Problem besiegen?
In seiner Struktur erinnert Die Tribute von Panem L stark an die ersten Hunger Games-Geschichte. Wieder muss ein unterschätzter Tribut aus dem ärmsten Distrikt 12 sich der Übermacht des Kapitols entgegenstellen. Manchmal sind die großen Parallelen zwischen den Hauptfiguren Katniss und Haymitch fast schon zu offenkundig: Beide haben ihre Väter verloren, eine alleinerziehende Mutter und ein jüngeres Geschwisterkind (Haymitchs Bruder heißt Sid). Beide wachsen eher unfreiwillig in ihre Rebellen-Rolle hinein und bleiben in der Arena zunächst für sich. Beide freunden sich mit jüngeren Tributen an und verlieren die Verbündeten (Haymitchs Rue heißt Lou Lou).
Auch an Fanservice spart US-Autorin Suzanne Collins in ihrem neuen Hunger Games-Roman nicht. Ob nun Everdeen-Vorfahren Haymitchs Weg kreuzen, Covey-Sängerinnen mit Liedern wie dem "Henkersbaum" auf Lucy Gray Baird zurückverweisen, die Herkunft von Katniss' Mockingjay-Anstecker geklärt wird, drei Finger sich heben oder ein Spotttölpel vorbeiflattert: Easter-Egg-Jäger:innen können ihre Referenzkörbe schnell füllen. Beim Zählen der vielen zurückkehrenden Figuren gehen einem von Präsident Snow über Beetee, Mags, Wiress, Effie Trinket und mehr bald die Finger aus.
Das wirft unweigerlich die Frage nach der Eigenständigkeit von Haymitchs Geschichte auf. Weiß ich durch die späteren Tribute von Panem-Storys nicht längst, wie all das ausgeht? Da Katniss die Hungerspiele erst nach ihrer 75. Auflage (dem dritten Jubel-Jubiläum) beendet, kann der Held der neuen Geschichte eigentlich nur verlieren ... und muss zugleich überleben, wodurch die Angst um Haymitch sich in Grenzen hält. Trotz des Prequel-Problems eines bekannten Ausgangs meistert die Story jedoch ihre Hürden. Und zwar nicht zuletzt dadurch, dass Collins mit unserem Wissen spielt.
Am Anfang lost Effies Vorgängerin Haymitchs Name bei der "Ernte" zum Beispiel gar nicht aus. Auf die Verblüffung folgt ein noch mieserer Dreh, um ihn zum Tribut zu machen. Außerdem schreiben Geschichte bekanntlich die Sieger. Wenn Katniss und Peeta sich 25 Jahre später Haymitchs Hungerspiele per Video-Zusammenfassung ansehen, dann ist das die geschönte Version, die das Kapitol der Überlieferung anvertraut hat. Hut ab für diese clevere Erklärung für alles Unbekannte, die zugleich einen tieferen politischen Kommentar in sich birgt.
Dass Haymitchs feste Freundin zu Hause bleibt, verschiebt zudem die Arena-Dynamik von der romantischen Note stärker zu (tragischen) Freundschaften. Aber nicht nur emotional wirkt Die Tribute von Panem L härter als je zuvor, auch die Gewaltschraube wird so weit angezogen, dass man sich bei Szenen mit abgetrennten Kinderköpfen, menschenfressenden Eichhörnchen und umoperierten Doppelgängern unweigerlich fragt, ob man hier wirklich noch ein Jugendbuch liest. Die nervenzehrende Spannung, die auch die geplante Verfilmung vorantreiben dürfte, ist hier definitiv schon spürbar.
Der Tag bricht an: Die neue Hunger Games-Geschichte ist schon auf der Buchseite filmreif
Wenn ich durch die Greifarme der fliegenden Leichensammler auf das neuste Opfer herabblicke und Plutarch Heavensbee mit Haymitchs Familie um eine tränenreiche Abschiedsaufnahme verhandelt, formen sich beim Lesen bereits eindrückliche Bilder im Kopf, wie umwerfend der neue Hunger Games-Film ausfallen kann, der im November 2026 ins Kino kommen soll.
Insbesondere die neue Arena der 50. Hungerspiele birgt viel grausames Potenzial. Die bunte Idylle einer saftigen Wiesenlandschaft dürfte mit kräftigen Farben aufwarten, bevor sich dort alles – von Elektroschocker-Schmetterlingen über den giftigen Blumenduft bis zu blutsaugenden Marienkäfer – in einen absoluten und visuell berauschenden Schrecken verwandelt.
Kombiniert mit den neuen Figuren, die einem schnell ans Herz wachsen, bange ich zwar nicht um Haymitchs Leben, sehr wohl aber um das seiner Weggefährten. Trotz Vorhersehbarkeit zahlt sich das Mitfiebern bis zur letzten Wendung voll aus. Dass Haymitch seinen Schmerz ein Vierteljahrhundert später immer noch mit Alkohol betäubt, wird danach jeder verstehen. Die Hunger Games sind auf verheerend schöne Weise zurück. Zwischen Grauen und Trost bleibt nur der altbekannte Wunsch: Möge das Glück stets mit euch sein.
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