Letzte Woche haben wir Mike (Jonathan Banks) dabei zusehen müssen, wie er von seiner Vergangenheit eingeholt und so sehr vermöbelt wurde, dass er einen seltenen emotionalen Zusammenbruch erlebte und unter Tränen das Schicksal seines Sohnes aufarbeitete. Diese Woche wendet sich Better Call Saul wieder dem eigentlichen Helden Jimmy (Bob Odenkirk) zu, der in Bingo eine ganz ähnliche emotionale Berg- und Talfahrt durchmachen muss und letzten Endes zu dem selben Ergebnis kommt.
Dabei fängt alles so verheißungsvoll an. Mit gewohnter Souveränität befreit er Mike vorerst von den Versuchen des Philadelphia-Bullen Abbasi (Omid Abtahi), ihn hinter Gittern zu bringen. Dessen Hartnäckigkeit wird damit sicherlich noch nicht gebrochen sein, doch für den Moment herrscht Ruhe. Auch das Geschäft mit den rechtlichen Sorgen der Senioren floriert: Jimmy kann nicht bloß spaßige Bingo-Veranstaltungen für seine PR-Zwecke nutzen, sondern hat auch dermaßen viele Aufträge, dass er die Akten kistenweise bei seinem Bruder Chuck (Michael McKean) unterbringen muss. Das Geld kommt ihm in solch einem Ausmaß zugeflogen, dass er sich ein pompöses Büro mit eigener Rezeption und Ausblick auf die ganze Stadt leisten kann, inklusive einem erstklassigen Plätzchen für Kim (Rhea Seehorn), die doch bitte als Partnerin mit einsteigen soll. Und genau hier fangen die Probleme an.
Und was versaut ihm den steilen Weg nach oben? Ganz genau, "the right thing." Jimmy legt das Bestechungsgeld der Kettlemans zu dem Rest ihres ergaunerten Vermögens und schickt es zu den Behörden. Es ist das einzig Richtige, das sagt er auf Mikes Nachfrage hin selbst, doch wenn Jimmy McGill davon spricht, das Richtige zu tun, klingt es, als versuche er sich an ein fremdes Konzept anzupassen. Mit verbitterter Resignation schmeißt er seine Scheine weg und damit die schimmernden Pläne für die nahe Zukunft, denn dieser Akt bedeutet sehr viel mehr als einen rein materiellen Verlust. Wobei auch dieser nicht zu verachten ist, schließlich waren die 30.000 Dollar sicherlich ein fester Bestandteil in der Finanzierung des gigantischen Büros.
Der eigentliche und wirklich schmerzhafte Verlust liegt in den weitreichenden Folgen. Die Kettlemans werden zu Hamills Kanzlei zurückkehren, sich bei Kim entschuldigen, sie wieder einstellen und den Deal ("A deal is what they got O.J.!") zur Strafmilderung annehmen. Kim wird die Gunst ihrer Vorgesetzten wiedergewinnen und nicht nur ihr altes Büro zurückbekommen, sondern auch einen großen Schritt in Richtung Partnerschaft machen und sich damit weiter in der Kanzlei verankern, von der Jimmy sie so dringend losreißen wollte. Er hätte genauso gut den Fall selbst übernehmen können, was wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass Kim letzten Endes tatsächlich seine (Geschäfts-)Partnerin geworden wäre. Doch er verzichtete darauf und tat stattdessen das, was sie sich wünscht. Es ist eine ungewöhnlich selbstlose Entscheidung und lässt die leise Vorahnung aufkommen, dass die unausweichliche Transformation zu Saul Goodman sehr viel tragischer ausfallen könnte, als bislang angenommen.
Denn so sehr ihn die Liebe zu seinem Bruder und die Verbundenheit zu Kim auch bei seinen Entscheidungen beeinflussen mag, bleibt Jimmy jemand, dem beruflicher Erfolg extrem wichtig ist. Bislang handelte er stets vor dem hoffnungsvollen Hintergrund, dass das Richtige zu tun sich letzten Endes auszahlt. Ja, er hat die Tage als Slippin' Jimmy hinter sich gelassen, er hat Nachos Angebot abgelehnt und jetzt hat er das Bestechungsgeld zurückgegeben. Sein Hang zur Kriminalität ist jedoch nach wie vor ungebrochen und bloß mühsam in Ketten gelegt. Doch was passiert, wenn "richtige" Entscheidungen nicht fruchten? Moral hin oder her, im Hinterstübchen eines Nagelstudios ist es eng, Anzüge kaufen sich nicht von alleine und mit diesem Auto kann sich ein Anwalt doch nirgendwo blicken lassen. Die Belohnung für sein Verhalten beschränkte sich bislang auf ein "thank you" und selbst das wurde bloß mit einer stummen Lippenbewegung überbracht. Vielleicht will Better Call Saul gar nicht die Geschichte eines Mannes erzählen, der den Kampf gegen sein unmoralisches Ich verliert, sondern die eines Optimisten, der den Glauben an das Gute verliert.
Bingo bietet auch einen ersten Vorgeschmack auf das kommende Arbeitsverhältnis zwischen Jimmy und Mike, der sich auf clevere Weise das Geld der Kettlemans zu eigen macht. Vince Gilligan und Peter Gould wollen die endgültige Vereinigung der beiden jedoch offensichtlich so weit hinauszögern wie möglich, denn zumindest Mike macht nicht gerade den Eindruck, als liege ihm etwas an einer zukünftigen Zusammenarbeit. "Am I correct in assuming we are now square?" knurrt er beim Zusammenpacken des Geldes in Jimmys Büro, welcher darauf eine enttäuschte Pause einlegt und nicht ganz ohne Widerwillen zustimmt. Natürlich wissen wir bereits, dass es dabei nicht bleiben wird, dennoch ist es schön zu sehen, wie die beiden hier in zwei Episoden mit vergleichbaren Erfahrungen auf die selbe Weise umgehen und somit offensichtlich ist, warum sie ein so gutes Team sind.
Beide sind sehr gefasste Typen, die sich in der Regel nicht sehr schnell nervös machen lassen und souverän mit den brenzligsten Situationen umgehen. Sie sind kühl und berechnend und lassen Dinge scheinbar an sich abprallen. Doch unter der Oberflächliche kocht und brodelt es, ein Zustand, der nur sehr selten nach außen dringt. Letzte Woche hatte Mike diesen Moment mit seiner Schwiegertochter, diese Woche hat Jimmy diesen Moment, als er alleine in sein Traumbüro zurückkehrt. Kim auf unbestimmte Zeit "verloren", kann er sich nicht halten, er tritt die Tür zu und brüllt herum bis er erschöpft zu Boden sackt. Diese emotionalen Ausbrüche sind jedoch bei beiden bloß nur eine notwendige Auszeit, nach der sie problemlos in ihre alten Muster zurückkehren können. Von Mikes Tränen ist hier nichts mehr übrig, stattdessen erledigt er zuverlässig wie eh und je seine Arbeit. Genau so gibt es für Jimmy nach diesem Tiefschlag nur eine Richtung und zwar Geradeaus. Auch wenn er noch am Verschnaufen von seinem Wutausbruch ist - sobald das Telefon klingelt, heißt es wieder:
“Law offices of James M. McGill, how may I direct your call?”
Notizen am Rande:
- Jimmy hat wohl noch etwas mit seinem Bruder vor, zumindest scheint er Chucks Neugier mit einkalkuliert zu haben, als er die Akten bei ihm abstellte.
- Die Kettlemans gehören hiermit endgültig zu den abscheulichsten Serienbösewichten die ich kenne: "You are telling us there are drug dealers and murderers - walking the street! - but instead of going after them, they want to put an innocent man in jail?"
- Abgeknabberte Äpfel als Symbol für verstrichene Zeit zu filmen ist eine schicke Idee. Überhaupt ist diese Episode ziemlich schön inszeniert, vor allem die Parkhausszenen und Mikes Einbruch fühlten sich dank spärlicher Beleuchtung und einem lässigen Score an wie ein klassischer Krimi aus den 70ern. Hach.
- Ich hätte wirklich gern noch mehr von Irenes Haustieren gehört, Oscar und Felix sind offensichtlich ein ganz bezauberndes Katzenpärchen.