Das Lamm ist böse geworden. Dass Will noch was in petto hat, das wurde im Verlauf von Hannibal regelmäßig angedeutet und spätestens seit der letzten Folge dürfte jedem klar sein, dass uns im Staffelfinale nochmal was ganz Dickes erwarten wird. Und auch wenn bei The Wrath of the Lamb wohl kaum von einer wirklichen Überraschung gesprochen werden kann, so ist diese Radikalität, mit der Bryan Fuller und sein Team hier ans Werk gehen, doch extrem bewundernswert. Sie schrecken nicht vor den ganz großen Gefühlen zurück, dem Kitsch, der Prätention. Es gibt nicht viele Serien, die sich solch ein Finale erlauben können, doch hier funktioniert es reibungslos.
Eines der schönsten Dinge an diesem Finale ist, dass die sehr greifbare Vorstellung, nie eine vierte Staffel zu sehen, gar nicht mehr so schlimm ist. Nicht nur das, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass die Serie in genau dem richtigen Moment endet. Es ist gut möglich, dass Bryan Fuller die Absetzung der Serie vorausgeahnt hat und sich deshalb für solch ein ambivalentes Ende entschieden hat, um sowohl ein schlüssiges Finale zu haben, als auch die Möglichkeit, das ganze vielleicht doch noch mit einer vierten Staffel weiterführen zu können. So schade es auch ist, sich von dieser Serie trennen zu müssen, The Wrath of the Lamb ist ein mehr als würdiger Abschluss, der vermutlich ohnehin nicht mehr übertroffen werden kann.
Zunächst einmal ist endlich das passiert, was passieren musste, was die Serie über drei Staffeln so sorgfältig vorbereitet hat: Will (Hugh Dancy) und Hannibal (Mads Mikkelsen) sind vereint. Ihre Beziehung war zwar schon immer toxisch und voller Missbrauch, voller kranker Psychospielchen und gegenseitigem Verletzen, und doch war es für alle Beteiligten klar, in welche Richtung das hier gehen wird, auch wenn Will das zu Beginn der Episode noch nicht so richtig wahrhaben will. "Will. Tell me, was it good to see me again?", fragt Hannibal ihn von seiner Zelle aus, während Will sich schon auf dem Weg nach draußen befindet, sich aber nochmal umdreht: "Good? No." Das muss er natürlich sagen, weil er sich selber nichts anderes eingestehen kann. Immerhin hat er Familie und mit der ist er ja glücklich. (Umso bedauerlicher ist es übrigens, dass Molly (Nina Arianda) und ihr Sohn seit dem Attentat auf sie keine Szene mehr bekommen haben, vor allem in diesem Finale wirkt ihre Abstinenz etwas befremdlich.) Es ist ein klares, hartes Statement, das Will seinem Gegenüber entgegenschlägt, wobei jedem auch hier schon klar war, dass es sich um eine dreiste Lüge handelte.
Und dann flüchten sie einfach. Wie viel von der Befreiungsaktion von Hannibal auch Teil von Wills Plan war, das wird nicht so ganz klar, aber das spielt auch keine Rolle, denn als Hannibal vor ihm hält, die Beifahrertür öffnet, die Leiche auf die Straße schubst und ihn mit seinen einladenden, warmen Augen anschaut, da kann es für Will nur eine Option geben: Einsteigen, verschwinden. Was dann folgt, ist der emotionale Höhepunkt ihres bisherigen Verhältnisses. Francis (Richard Armitage) taucht auf und möchte die beiden umbringen, doch die tun sich zusammen und zeigen dem Roten Drachen, warum sie unter Insidern als "Murder Husbands" verkehren.
Hannibal bewegt sich mit diesem Kampf auf heiklem Gebiet, kommt jedoch damit durch, weil Francis bekanntlich das absolut Böse ist. Andernfalls wäre diese Sequenz noch sehr viel eigenartiger geworden. Es wird gestochen, geschlitzt, gebissen, geweint und vor allem richtig viel geblutet. Das Blut fließt literweise aus den Körperöffnungen, doch die Inszenierung von Michael Rymer lässt das alles sehr intim und emotional, nahezu erotisch aussehen. Das liegt nahe, schließlich entstand die Bindung zwischen den beiden trotz all den homoerotischen Untertönen niemals wirklich aus einer sexuellen Zuneigung im klassischen Sinne zueinander, sondern in einem weitestgehend psychischen, der eben auch etwas mit Mordfantasien zu tun hat. Insofern ist dieses gemeinsame Morden gewissermaßen eine etwas verschrobene, aber vollkommen gleichberechtigte Alternative zu dem herkömmlichen Geschlechtsakt. Sie ringen den Großen Roten Drachen nieder und liegen sich dann in den Armen, erschöpft und befriedigt - mit einem Blick auf die gemeinsame Zukunft, die natürlich nur tödlich aussehen kann. Sie stürzen gemeinsam die Klippe hinunter, Richtung Meer, für immer Arm in Arm.
Dass sie in den Tod stürzen, das steht selbstverständlich nur deshalb außer Frage, weil wir davon ausgehen müssen, dass es mit Hannibal, der Serie, nicht mehr weitergehen wird. Die abschließende Sequenz mit Bedelia (Gillian Anderson) suggeriert natürlich, dass beide überlebt haben und jetzt gemeinsam all die Dinge nachholen, die Hannibal von seiner Zelle aus nicht machen könnte, dass sie jetzt buchstäblich zu den Murder Husbands geworden sind. Unter den aktuellen Umständen müssen wir The Wrath of the Lamb jedoch als ein Serienfinale betrachten und ganz ehrlich: Als solches funktioniert das alles noch sehr viel besser.
Bedelia weiß, was Will vorhat, sie weiß um die Zuneigung, die er und Hannibal füreinander empfinden und dementsprechend kann sie sich auch denken, dass die beiden wiederkehren werden, um sie zu essen. Sie hat genug gesehen, um sich nicht die Hoffnungen zu machen, fliehen zu können und so tut sie das, was vielleicht wirklich so etwas wie ihre letzte Chance ist. Sie bietet Hannibal ein Versöhnungsgeschenk an, ihr Bein, frisch zubereitet und erstklassig in Szene gesetzt, ganz den Vorlieben ihres ehemaligen Partners entsprechend. Nun muss sie nur noch darauf warten, dass die beiden kommen, und dass sie zu zweit kommen, steht außer Frage, also deckt sie einfach für beide. So gesehen wäre es ein verstörend treffendes Ende, voller makaberem Humor, der die Serie schon immer ausgemacht hat. Den anderen ergeht es nicht sehr viel besser. Alana (Caroline Dhavernas) und Margot (Katharine Isabelle) wollen mit ihrem Kind über alle Berge fliehen und Jack (Laurence Fishburne) muss als FBI-Agent wieder ordentlich einstecken, er muss wieder einsehen, dass er versagt hat, dass er Will wieder falsch eingeschätzt hat, dass es wieder ganz anders kam als gedacht, wieder zu seiner Missgunst. Sie alle werden niemals mehr zu ihrem normalen Leben zurückkehren können, denn Hannibal bleibt für immer Teil ihres Lebens, auch wenn er leblos im Meer herumtreibt.
"See, this is all I ever wanted for you, Will. For both of us." - "It's beautiful."
Notizen am Rande:
- In einem Interview mit der Vox redet Bryan Fuller unter anderem ein bisschen über diese Episode. In seiner Erklärung zu der Endszene scheint es jedoch nicht so, dass er eine zweideutige Interpretation beabsichtigt habe. Laut ihm sei es offensichtlich, dass Hannibal und Will überlebt und Bedelias Bein abgetrennt und serviert hätten. In einem anderen Interview sagt er sogar ganz deutlich , dass er die mögliche Theorie, dass Bedelia ihr eigenes Bein abgeschnitten hat, überhaupt nicht bedacht hatte. Ist mir aber egal, ich mag das Ende so lieber.
- Die Kollegen von Entertainment Weekly haben einen Rückblick auf die Anzüge geworfen, die Hannibal so im Laufe der drei Staffeln getragen hat .
- Ich weiß, einige von euch werden Hannibal noch sehr lange hinterhertrauern. Hier habt ihr den passenden Soundtrack dazu .