Ein Protagonist, der in einen terroristischen Plot verwickelt ist. Eine Protagonistin, die, von ihrer bipolaren Störung gezeichnet, ihren Job verloren hat. Und ein Sender, der sein Quotenzugpferd gern in eine zweite Staffel lenken will, ohne den kompletten Cast auszutauschen. Vor Marine One, dem Finale von Staffel 1, standen für Homeland und seine Autoren riesige Hürden, welche die Dynamik der ganzen Serie hätten lahmlegen können. Stattdessen gebaren die Macher eine rund 70-minütige Episode, die Genreklischees geschickt instrumentalisiert, um sich aus der Affäre zu ziehen und trotzdem ein fesselndes Fernseherlebnis bietet. Marine One ist eines der besten Staffelfinals der letzten Jahre, gerade weil die Autoren uns und ihre Serie vor vollendeten Tatsachen bewahren.
Was passiert: Drei Tage, dann ein Zeitsprung von zwei Tagen. In diesem zeitlichen Rahmen bringt Homeland seine zwei großen Handlungsstränge (Carrie und Brody) mit mehreren kleinen zusammen (Saul, Tom Walker), lässt ein paar überschneiden, einen ganz enden, um in den letzten Minuten genügend fransige Enden vorzuweisen, die der Zuschauer unbedingt in einer zweiten Staffel ordnen will. Der Terror-Plot von Abu Nazir fügt sich langsam zusammen. Tom Walker dringt in die Wohnung einer Bingo-liebenden alten Dame ein, um in der abgeschirmten Zone der Hauptstadt ein gutes Plätzchen für ein Attentat einzunehmen (und tätschelt ihr nach der Tat den Kopf!). Aber wen will er eigentlich töten? Genau hier hält uns Homeland lange im Ungewissen, ist Nicholas Brody (Damian Lewis) doch gleichzeitig bemüht, mit Hilfe einer Bombenweste in besagte Zone zu kommen. Dort will Vizepräsident Walden seine Kandidatur für die Präsidentschaft ankündigen. Abu Nazir will für einen Drohnenangriff Rache an Walden nehmen, aber warum benötigt er dafür eine Bombe und einen Scharfschützen? Die Sicherheitsbehörden rechnen nur mit letzterem, müssen sich am Ende des Tages aber trotzdem ein fettes FAIL anrechnen, gelangt Walker doch unbemerkt hinein und wieder hinaus aus dem Überwachungsgürtel. Seine Chance, den Vize umzubringen, nutzt er allerdings nicht und tötet dessen Beraterin Elizabeth Gaines (Linda Purl), woran sich zwei absichtlich daneben gehende Schüsse anschließen.
Erst jetzt zeigt sich Abu Nazirs Geniestreich: Brody wird mit der Weste in der Panik durch die Metalldetektoren geschleust und landet mit dem Vize und den wichtigsten Männern des Verteidigungsapparats der Vereinigten Staaten in einem kleinen Raum. Carrie (Claire Danes), die eigentlich zu Hause zur Ruhe kommen sollte, steht vor dem Gebäude und versteht die Strategie. Ihre Warnungen an Saul bringen nichts und ihr hysterischer Auftritt vor Dana und Jess nimmt sie effektiv aus dem Spiel. Hier zeigt sich, warum dieses Finale großartig ist. Anstatt die Uralterwartung an eine Serie mit solch einer dualistischen Figurenkonstellation zu erfüllen (Brody und Carrie treffen aufeinander; Drama folgt!), wird eine Figur Schachmatt gesetzt und so bleibt es an Brody und ihm allein, über sein Schicksal zu entscheiden. Der zweite brillante Zug der Autoren Alex Gansa und Chip Johannessen zeigt sich in seiner konsequenzlosen Entscheidungswilligkeit. Brody drückt den Knopf, der die Bombe zünden soll und beseitigt jeden Zweifel, er stecke hier in einer Mission, deren Motive er nicht teilt. Die Bombe zündet nicht, er repariert sie auf der Toilette und sieht wieder absolut bereit zum Selbstmordattentat aus. Kurz vor knapp ruft sein moralisches Zentrum an, Tochter Dana, die ahnt, dass etwas mit ihrem Dad nicht stimmt. Ohne den Helden ihrer Serie auszuschalten, bestätigen die Autoren seine Bereitschaft zum Terror. Erst die kommenden Staffeln werden ans Licht bringen, ob das Weiterleben Brodys Homeland langfristig schadet oder ob die Schreiber Wege finden, seine Figur logisch in die Handlung einzubinden, ohne den Bogen der Glaubwürdigkeit zu überspannen.
Am Ende von Marine One ist Brodys einziger Mitwisser auf amerikanischem Boden dank einer etwas weit hergeholten Entscheidung Abu Nazirs tot. Sein Gönner Walden nutzt den Tod seiner Beraterin, um, die Angst vor der terroristischen Bedrohung schürend, seine Kandidatur für die Präsidentschaft anzukündigen. Carrie, die nicht einmal weiß, wie dicht sie Brody auf der Spur war, unterzieht sich freiwillig einer Elektroschocktherapie (noch so eine unterwanderte Erwartung); eine der Nebenwirkungen: der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses und damit der Bedeutung des Namens Issa.