Die Idee, einen Erzähler einen Schwank aus seiner fiktiven Vergangenheit erzählen zu lassen, ist seit Serien wie How I Met Your Mother und Alle hassen Chris wieder populär. Doch bereits in Wunderbare Jahre lauschen wir einem erwachsenen Kevin – in der deutschen Fassung von Synchron-Urgestein Norbert Langer gesprochen – der uns die Geschichte seiner Jugend mit allen Höhen und Tiefen näherbringt. Die Geschichte erstreckt sich über den Zeitraum von fünf Jahren – 1968 bis 1973. Eine Zeit, die politisch aufreibend war und für einen Zwölfjährigen genauso aufregend wie der erste Kuss. Vermutlich war dieses Wechselspiel auch ein Grund dafür, dass die Serie nicht nur meine ganz persönliche Sympathie, sondern auch 22 Awards gewann – für 54 weitere war sie zumindest nominiert.
Wunderbare Geschichte
“1968 war ich zwölf Jahre alt. In diesem Jahr ist ’ne Menge passiert. Benni Maclean gewann 31 Spiele. Im Kino lief Rosemaries Baby. Und ich wechselte von der Hillprest Grundschule auf die Junior Highschool.”
Diese Worte eröffnen die erste Episode der Serie und sagen – vielleicht auch erst rückblickend – alles über den Ton der Serie und die Gedankenwelt eines 12-jährigen Vorstadtjungen namens Kevin Arnold. Die Relation, in die Kevin (Fred Savage) seine Umwelt und sich selbst setzt, sind die eines typischen pubertierenden Kindes. Da ist der ferne Vietnamkrieg oder 9/11 schlimm, ja, aber eben nur genauso schlimm wie der erste Liebeskummer. Das ist nicht unsozial oder gar egoistisch. Das ist schlicht und einfach die Pubertät.
Mein Mr. Collins
Lieblingsepisoden werden zu eben solchen, weil sie oft mit persönlichen Dingen verknüpft sind. Bei mir ist es die neunte Folge der dritten Staffel – “Die Rechnung mit dem Trick” – bei der ich spontan anfangen könnte loszuheulen (SPOILERWARNUNG): Mathelehrer Mr. Collins holt Kevin in den Kurs für Fortgeschrittene. Kevin allerdings hat schlicht und einfach geschummelt. Er scheitert kläglich. Mr. Collins bietet ihm an, den Test nachzuschreiben. Kevin setzt sich auf den Arsch und hämmert sich den Stoff rein. Zwischenzeitilich verstirbt Mr. Collins überraschend. Kevin schreibt den Test nach. Beim Abgeben sagt er dem neuen Lehrer: “Sie brauchen es nicht nachzusehen. Es ist eine Eins!”
Ich erinnere mich noch gut an die Matheprüfung der 10. Klasse. Der Aufbau eines Protonenbeschleunigers hätte mich auch nicht mehr überfordern können. Mein Opa triezte mich. Er setzte sich Nachmittag für Nachmittag hin und brachte mich durch die Prüfung. Ich zollte der Serie meinen Tribut, indem ich das Prüfungspamphlet auf den Tisch der Lehrerin legte, und im Weggehen sagte: “Sie brauchen es nicht zu kontrollieren. Es ist eine Vier!”. Ich schätze jeder hat seinen eigenen ‘Mr. Collins’.
Identifikationsfiguren damals und heute
Natürlich funktioniert eine Serie gut, wenn die Figuren gut funktionieren. Doch im Gegensatz zu Sitcoms wie Friends, How I Met Your Mother & Co., bei denen Protagonisten nach Schema F erstellt werden, um den Zuschauern einen möglichst große Palette an Identifikationsfiguren zu bieten (der Looser, Aufreißer, Nerd, Verrückte, die Schönheit, etc.) wirkt die Konstellation in Wunderbare Jahre wesentlich organischer und weniger bemüht.
Die Familie ist durchschnittlich – für die Endsechziger. Die Mutter (Alley Mills) ist Hausfrau, der Vater (Dan Lauria) Kriegsveteran und Familienernährer, der ältere Bruder (Jason Hervey) ist ein Stinkstiefel und die ältere Schwester (Olivia D’Abo) fühlt sich irgendwann zum Blumenmädchen berufen. Als Einzelkind mit Singlemutter war mir diese Familiensituation zwar zu Gänze fremd, aber das Gefühl wegen schlechten Noten einen Anschiss zu bekommen, sich mit Freunden zu streiten und mit denselben Freunden darüber zu diskutieren, welches Mädchen nun das hübschere sei – ja, das wiederum kannte ich sehr gut. Und so war Kevin Arnold eben auch nur ein Junge aus der Nachbarschaft. Niemand wollte so sein wie er, viele waren es halt einfach.
Dass nun jeder vor sich hinpubertierende Teenager unglücklich in seine beste Freundin (Danica McKellar) verliebt ist und einen jüdischen Asthmatiker-Nerd mit Hornbrille namens Paul Pfeiffer seinen besten Freund nennt, glaub ich nicht – und plötzlich denke ich über die Ähnlichkeit zwischen Milhouse van Houten (Die Simpsons) und Paul Pfeiffer nach – aber so ganz fremd wirkte das ganze Szenario trotzdem nie. Und wenn dann noch Norbert Langer als Erzähler (im Original: Daniel Stern), den holprigen Flirtversuch eines Jungen, trocken mit “…der Junge wittert seine Chance…” kommentiert, kommt wohl niemand um ein verlegenes Schmunzeln herum. Also ich persönlich konnte und kann es mir nie verkneifen.
Wunderbares Ende
(SPOILERWARNUNG) Etwas, was Wunderbare Jahre richtig gemacht hat, war, einen sauberen Abschluss zu finden. Kein künstlich aufgeblasenes Füllmaterial um der Serienkuh noch mehr Scheine aus dem Euter zu kitzeln. Keine Fortsetzung. Nur ein Ende. Nachdem wir Kevin Arnold fünf Jahre lang begleitet haben, endet Wunderbare Jahre mit dem Episodendoppel Vierter Juli. Was folgte, war eines dieser berühmten Voiceover-Sequenzen, wie wir sie aus Herkules und die Sandlot Kids oder auch Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers kennen. Während wir die innigen Versöhnungen am 4. Juli sehen, erzählt uns der erwachsene Kevin, dass sein Vater zwei Jahre später verstarb. Wir erfahren, dass Paul nach Harvard ging, Winnie nach Frankreich, sein Bruder die Firma seines Vaters übernahm und er selbst heiratete – aber eben nicht seine Jugendliebe.
Zitat
Das Erwachsen werden geschieht innerhalb eines Herzschlages. Eben noch steckt man in den Windeln und auf einmal ist man weg. Aber die Erinnerungen an die Kindheit begleiten einen ein Leben lang. Ich erinnere mich an einen Ort, eine Stadt, an ein Haus, wie viele andere Häuser. An einen Garten, wie viele andere Gärten, an eine Straße, wie viele andere Straßen. Selbst heute denke ich nach all der Zeit noch immer an diese wunderbaren Jahre zurück.