Zerrissene Umarmungen - Almodóvars Liebeserklärung an den Film

31.07.2009 - 14:42 Uhr
Zerrissene Umarmungen
Tobis / moviepilot-Montage: Khesrau Behroz
Zerrissene Umarmungen
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Pedro Almodóvars neuer Film Zerrissene Umarmungen feiert nur den Film im Film, sondern auch den Prozess des Filmemachens. In unserem Special werfen wir einen Blick auf die spannendsten Teile seines neuen Films.

Eine Geschichte ist nicht genug. Es müssen drei sein. Im neuen Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar werden Handlungsstränge und Zeitebenen so geschickt miteinander verwoben, das die Grenzen zwischen Film 1, Film 2 und Film 3 irgendwann verwischen, wenn auch nicht vollständig verschwinden. Zerrissene Umarmungen ist ein Verbeugung vor dem Film im Film und eine Reflexion über das Drehbuchschreiben, Produzieren und Regieführen. Es ist – kurz – eine Liebeserklärung an das Filmemachen, ein Flirt mit der eigenen Profession. Almodóvar: „Ich habe das Gefühl, dass ich dem Kino [mit Zerrissene Umarmungen] zum ersten Mal eine so deutliche Liebeserklärung gemacht habe; […] dem Kino, seinen Materialien, den Menschen, die vor und hinter dem Scheinwerferlicht alles geben, was sie haben, den Schauspielern, den Cuttern, den Erzählern, denen, die schreiben, den Leinwänden, die alle Bilder jener Intrigen und Emotionen zeigen. Eine Liebeserklärung an etwas, mit dem man zwar seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, das aber nicht bloß eine nüchterne Profession ist.“

Mateo Blanco (Lluís Homar) weiß nicht mehr, wo sein Kopf geblieben ist. Der Regisseur und Drehbuchautor verliebt sich beim Dreh zu seiner Komödie „Frauen und Koffer“ in die Hauptdarstellerin Lena (Penélope Cruz) und beginnt eine Affäre mit ihr. Eine heikle Angelegenheit, ist doch Lenas Liebhaber – der reiche, alte und eifersüchtige Tycoon Ernesto Martel (José Luis Gómez) – der Produzent des Filmes und lässt seinen Sohn Ernesto Martel jr. (Rubén Ochandiano) die beiden Turteltauben verfolgen und in flagranti mit der Kamera filmen. Die Dreharbeiten werden immer schwieriger, Unfälle häufen sich; es gipfelt in einem Autounfall.

14 Jahre später ist Mateo Blanco nicht mehr. Er heißt nun Harry Caine und ist blind. Sein ruhiges, wenn auch nicht trostloses Leben als Drehbuchautor nimmt ein jähes Ende, als seine Vergangenheit ihn wieder einholt…

1. Film

Der erste Film heißt Zerrissene Umarmungen. Wenn ab dem 6. August die deutschen Kinoliebhaber in die Lichtspielhäuser gehen, kaufen sie sich genau dafür Tickets. Der Titel ist dabei eine Hommage an Reise in Italien von Roberto Rossellini aus dem Jahre 1954. Almodóvar denkt da insbesondere an die Szene, in der Ingrid Bergman und George Sanders Archäologen dabei zusehen, wie sie die Leichen eines sich umarmenden Paares ausgraben, die vom Ausbruch des Vesuvs 2000 Jahre zuvor in Pompeji überrascht wurden. Almodóvar hat versucht, die Tonalität dieser Szene zu treffen: „Nachdem sie diese Szene betrachtet hat, verbirgt Lena ihr Gesicht an Mateos Schulter, genauso bewegt wie Ingrid Bermann in Rosselinis Film, obwohl sie gerade fest von der Person umarmt wird, die sie am meisten liebt. Sie denkt, dass sie genauso sterben möchte wie das Liebespaar im Inferno des Vulkanausbruchs von Pompeji: in unsterblicher Umarmung mit Mateo. Dieser spürt das leidenschaftliche Verlangen seiner Geliebten, erhebt sich von der Couch, nimmt seine Kamera, positioniert sie und schaltet sie auf Automatik. Dann geht er zurück zu Lena, umarmt sie zärtlich, und die beiden blicken in die Kamera, bis deren Blitz ihre Umarmung verewigt wie die Lava des Vesuv in Rosselinis Film die Umarmung des unbekannten antiken Liebespaares. Doch im Unterschied zu dem italienischen Film überdauert diese Umarmung die Zeiten nicht. Einige Wochen später wird jemand dieses Foto und viele weitere zerreißen.“

2. Film

Der zweite Film heißt Frauen und Koffer. Das ist der Film, den Mateo Blanco mit Lena in der Hauptrolle dreht. Es ist eine Komödie, eine Farce und gleichzeitig auch ein Kontrastversuch. Almodóvar wollte ein Gegenstück zu all der Dramatik, wollte, dass sich all die Probleme Lenas in der realen Welt in ihrem Spiel zeigen. „Vor allem die Mühe, die Lena damit hat, den leichten, schwungvollen und sprühenden Ton der Komödie zu treffen, unterstreicht die bedrückend-dramatische Atmosphäre, die während der Dreharbeiten herrscht.“ Almodóvar betont aber, dass Frauen und Koffer keine Hommage an den eigenen Film Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs darstellt, sondern lediglich eine Adaption ist, an der er beim Drehen so großen Spaß hatte, dass er die dem Schnitt zum Opfer gefallen Szenen der Komödie auf der DVD von Zerrissene Umarmungen zeigen wird.

3. Film

Der dritte Film ist kein Film im eigentlichen Sinne. Er ist ein Making Of, gedreht von Ernesto Martel jr., dem Sohn des reichen Tycoons, der so eifersüchtig ist, dass er seine Geliebte Lena während der Dreharbeiten von Frauen und Koffer mit der Kamera festhalten lässt. Besonders spannend ist Almodóvars Meinung nach der Aspekt der Parallelität: „Obwohl ich die Art und Weise, in der Martel das Making-Of missbraucht – nämlich als bloßen Vorwand, um Lenas und Mateos Verhalten auf dem Set und jenseits davon zu überwachen – moralisch verurteile, mag ich doch die Idee, dass dieses Making-Of eine parallel zum Film verlaufende, heimliche und eigenständige Erzählung bildet. Schon immer habe ich von einem Film geträumt, dessen Geschichte in Form eines Making-Ofs erzählt wird. Denn ein Making-Of enthüllt nicht nur alle technischen Geheimnisse des Filmemachens, sondern auch die derjenigen, die die filmische Fiktion kreieren oder verkörpern. Es verwandelt diejenigen, die für die Fiktion verantwortlich zeichnen, selbst in fiktive Figuren.“

So kommt es also, dass Zerrissene Umarmungen nicht nur Filme im Film hat, sondern in erster Linie – und über allem – ein Film über den Film geworden ist; von einem Filmemacher, der das machen darf und machen kann, ohne anmaßend zu sein.

Zerrissene Umarmungen läuft ab dem 6. August in den deutschen Kinos. Übrigens: Im Tobis Filmclub könnt ihr Premierenkarten für den Film gewinnen – einfach dem Club beitreten!

Quellenangabe: Die Zitate von Pedro Almodóvar stammen allesamt aus seinen Produktionsnotizen.

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