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Die Unverfilmbarkeit der schlafenden Schönen

01.11.2015 - 03:47 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Einer der verschiedenen Ansätze, Yasunari Kawabatas "Die schlafenden Schönen" zu verfilmen: "Sleeping Beauty" (2011) von Julia Leigh mit Emily Browning in der Hauptrolle.
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Einer der verschiedenen Ansätze, Yasunari Kawabatas "Die schlafenden Schönen" zu verfilmen: "Sleeping Beauty" (2011) von Julia Leigh mit Emily Browning in der Hauptrolle.
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In meinem Artikel möchte ich über drei verschiedene Filme schreiben, die alle mehr oder weniger auf einem Roman eines meiner Lieblingsschriftsteller basieren. Das Buch heißt "Die schlafenden Schönen", stammt aus dem Jahre 1961 und wurde vom japanischen Literaturnobelpreisträger Yasunari Kawabata geschrieben. Interessanterweise stammt keiner der hier beschriebenen Filme aus Japan. Aber der Stoff ist in der Tat auch äußerst schwierig für die Kinoleinwand adaptierbar.

Der japanische Schriftsteller Yasunari Kawabata, am 11. Juni 1899 in Osaka geboren, wurde sehr früh zur Waise. Auch seine Schwester sowie seine Großeltern starben noch bevor Kawabata 16 Jahre alt wurde. Diese persönlichen Verluste sollten einen prägenden Einfluss auf den späteren Autor von Romanen und Kurzgeschichten haben, der 1968 sogar als erster Japaner überhaupt mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Neben seiner Schriftstellerei arbeitete Kawabata auch als Journalist. Kawabatas Leben war belastet durch dessen emotionale Unsicherheit und der Unfähigkeit, persönliche Nähe zu seinem Umfeld aufzubauen: Themen, die sich in vielen seiner Geschichten wiederfinden lassen. Nur vier Jahre nachdem er seinen Nobelpreis verliehen bekam nahm sich Yasunari Kawabata durch eine Gasvergiftung das Leben. Auch wenn einige Menschen, inklusive seiner Witwe, später behaupteten, dass der Tod am 16. April 1972 nur ein Unfall war, so dürfte jedoch der Selbstmord seines Freundes und ebenfalls erfolgreichen Schriftstellers Yukio Mishima im Jahre 1970 einen starken Einfluss auf Kawabata gehabt haben.

Der Literaturnobelpreis wurde Yasunari Kawabata „für seine Erzählkunst, die mit feinem Gefühl japanisches Wesen und dessen Eigenart ausdrückt“ verliehen. 1921 veröffentlichte Kawabata, damals Literaturstudent, seine erste Kurzgeschichte und erhielt erstmals 1926 größere Anerkennung für seine Kurzgeschichte Die Tänzerin von Izu, einer Geschichte über einen melancholischen Studenten, der beim Wandern eine junge Tänzerin kennenlernt und durch diese Begegnung eine etwas glücklichere Grundeinstellung bekommt. Diese Geschichte wurde mehrfach verfilmt; erstmals 1933 durch Heinosuke Gosho mit Den Obinata und der hinreißenden Kinuyo Tanaka in den Hauptrollen: The Dancing Girl of Izu. Einen seiner wohl berühmtesten Romane schrieb Kawabata mit Unterbrechungen zwischen 1934 und 1947: Schneeland. Darin erzählt Kawabata von einer Liebesaffäre zwischen einem Tokioter Lebemann und einer einfachen Geisha aus einem kleinen abgelegenen Kurort, der berühmt für seine heißen Quellen ist (Onsen). Weitere sehr wichtige Romane des Japaners dürften Tausend Kraniche (1952), Schönheit und Trauer (1961) und Kyoto (1962) sein. Letzterer Roman wurde beispielsweise von Noboru Nakamura oder Kon Ichikawa verfilmt. Außerdem wurden viele seiner frühen Kurzgeschichten (z.B. in Three Sisters with Maiden Hearts) oder seine Novelle The Sound of the Mountain von Mikio Naruse für das Kino adaptiert.

Doch seine Werke sind nicht alle für die große Leinwand so leicht umzusetzen. Bestes Beispiel dafür ist der Roman, um den es hier im Folgenden gehen soll: Die schlafenden Schönen. Kawabata veröffentlichte diesen Roman erstmals 1961. Dabei handelt es sich um die Geschichte des einsamen, alten Mannes namens Eguchi, der auf der Suche nach etwas Bestimmten wiederholt das sogenannte Haus der schlafenden Schönen besucht. In diesem Haus bezahlen alte Männer dafür, neben jungen nackten Mädchen schlafen zu dürfen, die allerdings für die Nacht betäubt werden. Auch die Männer sollen Schlaftabletten nehmen und es wird von ihnen erwartet, dass sie nichts Unanständiges versuchen. Eguchi wird jedes Mal ein anderes Mädchen präsentiert und seine Erlebnisse und Träume vermischen sich mit seinen Erinnerungen und Wünschen.

Ob aber die alten Männer diese eigens dafür eingeschläferten Schönen, also ihre Opfer, für in aller Unschuld gekaufte Wesen hielten? Oder hätten sie insgeheim doch Schuldgefühle gehabt, die ihnen freilich zu um so heftigeren Wonnen verhalfen?

Erst im Jahre 2006 wurde diese knapp 120 Seiten kurze Geschichte zum ersten Male verfilmt und bisher noch nie in Japan selbst. Neben der offensichtlich gesellschaftlich problematischen Thematik dürfte der Hauptgrund für das geringe Interesse an einer Verfilmung von Die schlafenden Schönen vor allem in der emotionalen Komplexität der Handlung liegen. Das Geschehen spielt sich hauptsächlich im Kopf der Hauptfigur Eguchi ab, was eine Übertragung des Stoffes in das Medium Film in der Tat äußerst schwierig macht. Außerdem bringt die tatsächliche Darstellung der Ereignisse dieses Werkes in Bild und Ton unweigerlich etwas Voyeuristisches und teilweise sogar Abstoßendes mit sich; was in literarischer Form eher ein kleineres Problem ist. Damit muss Die schlafenden Schönen wohl mit dem häufig zitierten Zusatz der „Unverfilmbarkeit“ bezeichnet werden.

Verschiedene Herangehensweisen beim Versuch, "Die schlafenden Schönen" filmisch zu bearbeiten.
Wie nähert man sich nun der Umsetzung eines solchen Stoffes? Die erste filmische Adaption stammt tatsächlich aus Deutschland und entstand als Das Haus der schlafenden Schönen unter der Regie des inzwischen leider verstorbenen Schauspielers Vadim Glowna. Er selbst spielt die Hauptfigur und in weiteren Rollen sind einige große deutschsprachige Darsteller zu sehen: Maximilian Schell, Angela Winkler und Birol Ünel. Die zuvor beschriebene Problematik war wohl Vadim Glowna durchaus bewußt, sodass er versuchte, die Handlung manchmal etwas abschweifen zu lassen, womit man als Zuschauer zwangsläufig ebenfalls aus der zentralen Thematik herausgerissen wird. Zusätzlich kann es natürlich auch etwas stören, dass die Handlung von Die schlafenden Schönen aus Japan nach Deutschland verlagert wurde, auch wenn die Bilder des nächtlichen Berlins oder die Aufnahmen der Dächerlandschaften absolut faszinieren können. Es fehlen dem Film gewisse subtile, inhaltliche Elemente, die stark mit der sonst so patriachalisch geprägten, japanischen Gesellschaft verknüpft sind. Durchaus positiv hervorheben möchte ich jedoch die Atmosphäre des Filmes, die es schafft, die Melancholie der Vorlage gut wiederzugeben.


Auch der zweite Film, der offensichtlich auf Kawabatas Buch basiert, schafft es nicht, die Essenz von Die schlafenden Schönen zu übertragen; allerdings versucht dies die australische Regisseurin Julia Leigh auch gar nicht erst. Sie schuf keine Verfilmung, denn sie zeigt uns in Sleeping Beauty einen gänzlich anderen - eben weiblichen - Blickwinkel auf Yasunari Kawabatas Geschichte. Sowohl in Vorlage als auch Glownas Verfilmung geht es zentral um die älteren Herren, die schmerzerfüllt und traurig auf ihr vergangenes Leben zurückblicken. Im Jahre 2011 stellt Leigh nun Fragen zu den im Roman beschriebenen Frauen: Was bewegt sie? Welches Leben führen sie? Wie gehen sie innerlich mit ihrer Tätigkeit um? Das Ganze ist exemplarisch an der jungen Studenten Lucy (gespielt von Emily Browning) veranschaulicht. Dabei bleibt der Film stets recht künstlich und kühl; er wird nur selten emotional. Sleeping Beauty wurde jedoch durchaus faszinierend insziniert: Das passende Tempo; die Kameraarbeit; die langen, fast ungeschnittenen Sequenzen mit dezenten Kameraschwenks; sowie der zurückhaltende Einsatz von Musik passen ausgesprochen gut. Lediglich die Schlafszenen (und damit verbundenen Aktivitäten) sind mir persönlich teilweise etwas zu lang geraten. Irgendwie erscheint es falsch, sich zu stark damit auseinandersetzen zu müssen; zumal dies in Kawabatas Roman niemals direkt beschrieben wurde. Aber Sleeping Beauty ist in erster Linie mehr als nur eine interessante Variation des Buches; der Film nimmt einen Teilaspekt des Themas auf und erzählt etwas völlig Eigenständiges.

Der dritte Film, der in diesem Artikel vorgestellt werden soll, ist eigentlich die Verfilmung eines Romanes von Gabriel García Márquez. Allerdings wurde dessen Erinnerung an meine traurigen Huren mehr als nur offensichtlich von Die schlafenden Schönen inspiriert und der Kolumbianer zitiert bereits als Einleitung aus eben jenem Roman. Im Klappentext von Die schlafenden Schönen ist folgendes Spiegel-Zitat dazu zu lesen: „Bei der Lektüre des schmalen japanischen Meisterwerks empfand García Márquez, wie er zugab, das erste Mal >großen Neid gegenüber einem anderen Schriftsteller<.“ Der Nobelpreisträger von 1982, der so großartige Romane wie Hundert Jahre Einsamkeit oder Die Liebe in den Zeiten der Cholera schuf, konnte mit seiner Hommage an Kawabata jedoch nicht vollkommen überzeugen. Auch wenn García Márquez' karibische Variante durchaus andere Schwerpunkte setzt, so steht im Zentrum der Rückblick eines alten Mannes auf sein Leben; mit all seinen Niederlagen, Versäumnissen und Schuldgefühlen. Nun haftet bei García Márquez jedoch soetwas wie das Gegenteil von Altersweisheit an; ich würde allerdings niemals so weit gehen und von "Altherrenphantasien" sprechen wollen. Die mexikanische Verfilmung Erinnerung an meine traurigen Huren mit Emilio Echevarría in der Hauptrolle unter der Regie des Dänen Henning Carlsen versucht nun das Thema auf einem eher fragmentarischen Ansatz anzugehen, was durchaus dem Film zugute kommt. Allerdings erscheinen da einige Szenen etwas zu stark angedeutet. Es ist anzuzweifeln, dass Zuschauer, die den Roman nicht gelesen haben, sämtliche Beweggründe und Handlungen allumfassend nachvollziehen können. Dass nun Carlsen zusätzlich so etwas wie das filmischen Pendant zum Magischen Realismus in sein Werk hineinzaubern möchte, erscheint mir ebenfalls etwas fragwürdig. Zumal es dies in der Vorlage ja nun überhaupt nicht gibt, auch wenn es sicherlich etwas García-Márquez-Typisches darstellt. Alles in allem ist Erinnerung an meine traurigen Huren ein interessanter Film, der jedoch ebenso wie seine literarische Vorlage gewisse Schwächen besitzt.

Muss nun der wundervolle Roman Die schlafenden Schönen von Yasunari Kawakaba tatsächlich als „unverfilmbar“ gelten? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der deutsche Film von Glowna bleibt trotz Abweichungen insgesamt der Essenz der Vorlage am treuesten und kann als einzige wirkliche Verfilmung des Stoffes bezeichnet werden. Leighs Film, der einen komplett anderen Fokus legt, ist jedoch der filmisch ansprechenste. Alle drei hier beschriebenen Filme haben ihre eigenständigen Ansätze und schaffen somit immer etwas Neues aus der kurzen Geschichte des Japaners herauszuholen; dabei können sie jedoch nicht immer vollkommen überzeugen. Egal ob Deutschland, Australien oder Mexico: Keines dieser Länder kann filmisch dem Kawabata vom Nobelpreiskomitee attestierten „Gefühl des japanischen Wesens und dessen Eigenart“ Ausdruck verleihen. Möglicherweise sollte sich auch einfach einmal ein japanischer Regisseur an dieses emotional komplexe Werk heranwagen.

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Alle weiteren Texte zum Thema "Filmlektüre" findet ihr hier:

Grimalkin: Stranger than Fiction und die Metalepse

chita91: Wes Anderson liebt Bücher

Schlopsi: Wenn einzelne Panels zum Leben erweckt werden: Hellsing (Ultimate)

Alex023: Zwischen Zynismus und Hoffnung: das Leben leben mit Hank Moody

Absurda.: Film ist ein visuelles Medium

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