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Urlaubsziele und Weltkino - Ein Plädoyer für mehr Abwechslung

01.10.2015 - 11:31 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Chishû Ryû und Chieko Higashiyama schauen in "Die Reise nach Tokio" auf den Ozean. Der wissende Filmfreund weiß, dass sie in dieser Szene kein Fernweh empfinden, aber der Autor des Artikels beim Anblick dieses Bildes umso mehr.
Shochiku
Chishû Ryû und Chieko Higashiyama schauen in "Die Reise nach Tokio" auf den Ozean. Der wissende Filmfreund weiß, dass sie in dieser Szene kein Fernweh empfinden, aber der Autor des Artikels beim Anblick dieses Bildes umso mehr.
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Die Urlaubszeit ist vorbei. Die meisten sind wohl langsam wieder im Alltag angekommen. Doch laßt uns zusammen noch eine weitere Reise unternehmen. Eine Reise, die uns in die Filmwelt verschiedenster Länder führt. Fernweh läßt sich zwar hauptsächlich nur mittels Reisen stillen, doch auch der Wunsch nach fremden Ländern und Kulturen, die man im Kino erleben und entdecken kann, stellt für einige von uns eine Form von Fernweh dar.

Ich möchte in diesem Artikel für mehr Vielfalt in der Filmauswahl plädieren, wenn es um die Länder geht, aus denen die Werke unseres Lieblingshobbys stammen; und ganz nebenbei einmal einige Parallelen zwischen Urlaubs- und Filmschauverhalten ziehen.

Sowohl bei der Auswahl von Filmen als auch was das Urlaubsziel betrifft gibt es die verschiedensten Vorlieben. Sie alle haben ihre Berechtigung und sollen auch nicht von mir kritisiert werden. Die einen lieben es, im Urlaub ihre Zeit mit Strandbesuchen und All-Inclusive-Hotelaufenthalten zu verbringen. Andere machen gerne Kultururlaub in den interessantesten Städten der Welt. Dann gibt es Personen, die einfach am liebsten zuhause bleiben. Oder die, die jedes Jahr wieder zum immergleichen Campingplatz oder Ferienhaus reisen, um dort die Sommermonate zu verbringen. Und natürlich gibt es noch diejenigen, die eine Weltkarte zuhause im Wohnzimmer zu hängen haben und mit Fähnchen oder per Rubbelmöglichkeit all ihre bereisten Länder oder Städte markieren. Letztere wollen die ganze Welt besuchen, alles gesehen haben und die noch so verrücktesten Touren mitgemacht haben.

Jede dieser Ausprägungen (oder deren Mischformen) lassen sich auch ohne weiteres beim Filmschauverhalten wiederfinden. Die Strand-All-inclusive-Urlauber könnte man am ehesten mit Personen vergleichen, die Filme aus den immergleichen Ländern oder Genres schauen. Ihnen wird es nie langweilig, die sich ständig wiederholenden Geschichten aus zwei oder drei bestimmten Ländern zu konsumieren. In den meisten Fällen sind das wohl die USA oder vielleicht noch Großbritannien, Frankreich oder Deutschland (aber natürlich gibt es auch Menschen, die niemals im eigenen Land Urlaub machen wollen). Diese Filme liefern genau das, was gesucht wird: Verständliches und Unterhaltsames, um einfach abschalten zu können.

Am Strand liegen oder Unterhaltungsfilme zu schauen hat selbstverständlich dann nicht das Ziel, etwas über die fremden Urlaubsländer oder gar deren Kulturen zu lernen. Daran interessiert sind wohl eher die Menschen, die gerne Städtereisen machen und sich gerne unters Volk mischen. Sie wissen, wo es auf der Welt aufregend oder spannend ist. Gezielt suchen sie sich die Städte heraus, in denen das Leben pulsiert und die Kultur großgeschrieben wird. Auch unter Kinogängern gibt es dieses Verhalten. Entsprechende Personen suchen nach ganz bestimmten Themen oder Stilen und schauen auch mal gerne in Werke aus fremden Ländern hinein. Südkorea war Anfang der 2000er Jahre solch ein Filmland. Oder Frankreich in den 1960ern... Oder oder oder... Es wird Trends gefolgt und nebenbei erweitert sich dabei im Idealfall der eigene Horizont.

Aber selbstverständlich gibt es noch Filmreisende - und dazu zähle ich mich auch -, die bevorzugt nach dem immer Neuen suchen. Sie wollen oftmals mehr über fremde Kulturen in Erfahrung bringen und möchten ein Gefühl für die verschiedensten Sprachen und Verhaltensweisen bekommen. Die Welt ist so vielseitig und abwechslungsreich, da wäre es doch schade, einen riesigen Anteil nie kennengelernt zu haben. Ich persönlich finde gerade die Abwechslung so spannend. Filme aus Europa, Asien oder den USA unterscheiden sich teilweise unglaublich; genauso wie die dort lebenden Menschen und deren Verhaltensweisen. Der Wunsch nach Filmen aus anfänglich fremdartig erscheinenden Kulturkreisen kann teilweise so stark sein wie das Verlangen nach Reisen in ebensolche. Fernweh gibt es nunmal auch im Kino. Doch warum sollte man sich eigentlich freiwillig zu einem Gefangenen im eigenen Land machen. Als jemand, der das erste Lebensjahrzehnt in der DDR verbracht hat, kann ich sagen, dass es nichts Einengenderes gibt als nur in einige wenige Länder reisen zu dürfen. Also warum dann nicht auch im Kino in fremde Ländern schweifen? Es lohnt sich sicher für jeden, mal etwas über den Tellerrand der eingefahrenen Landesgrenzen hinweg zu schauen. Nichts führt schneller zum Tode einer Leidenschaft als Einseitigkeit und Langeweile. Darum plädiere ich für mehr Abwechslung - auch in der Länderfrage.

Allerdings habe auch ich so meine Lieblingsziele, wenn es um die Filmauswahl geht. Und es gibt Länder, die bisher stäflichst vernachlässigt wurden. Damit möchte ich mich im nächsten Absatz etwas näher beschäftigen.

Meine Filmwelt ist groß, aber weiße Flecken gibt leider dennoch

Die Idee für diesen Artikel hatte ich, als ich einmal meine Filmvorlieben in Bezug auf Länderverteilung genauer untersuchte, und dabei spannende und überraschende Entdeckungen machte. Auf dem Bild über diesem Absatz sind beispielsweise einmal die Länder farblich getrennt dargestellt, aus denen ich persönlich bereits Filme gesehen habe (grün) beziehungsweise die mir bisher auf meinen Reisen durch die Filmwelt noch verschlossen geblieben sind (gelb). Wobei ich mich an dieser Stelle ausdrücklich nur auf Filme beziehe, die auch tatsächlich zu großen Teilen vor Ort produziert wurden. Nur weil beispielsweise ein Film wie Rangoon - Im Herzen des Sturms von John Boorman in Birma (oder heute eigentlich Myanmar) spielt, kann ich nicht von mir behaupten jemals einen Film aus diesem Land gesehen zu haben. Etwas anders empfinde ich dies bei Filmen wie Das Mädchen Wadjda (Saudi-Arabien) oder The Rainbowmaker (Georgien), die aus verschiedenen Gründen zwar offiziell nicht im Land produziert wurden, aber von mir trotzdem entsprechend eingeordnet werden.

Wen es genauer interessiert, welche Länder ich bisher filmisch bereist habe, kann in einer meiner Listen nachschauen, in der zu den entsprechenden Ländern meine persönlichen Favoriten aufgeführt sind. Bisher habe ich Filme aus 58 Staaten gesehen.

Was fällt nun auf, wenn ich die Karte betrachte? Nun, ganz offensichtlich habe ich mich bisher fast überhaupt nicht mit Filmen aus Afrika beschäftigt. Nun gut, Werke aus Südafrika kennt sicher fast jeder, aber daneben habe ich mich mit Botswana (Die Götter müssen verrückt sein), Senegal (Moolaadé - Bann der Hoffnung) und Mali (Yeelen - Das Licht oder Bamako) nur mit wenigen afrikanischen Ländern beschäftigt - ja nicht einmal mit Ägypten oder Nigeria. Letzteres Land besitzt eine der größten Filmindustrien unserer Welt und ich habe noch nicht einen einzigen Film aus diesem Land gesehen? Inzwischen ist Nigeria tatsächlich auf Platz 2 (nach Indien und damit noch vor den USA) wenn es um die reine Anzahl an jährlich produzierten Filmen geht. Ist das nicht unglaublich?

Und da ich gerade von Zahlen spreche: Im letzten Teil dieses Artikels möchte ich mich etwas ebendiesen widmen. Mit ein paar Zahlen und Statistiken lassen sich Aussagen besser untermauern.

Zahlen lügen nicht

Wenn man einmal einen Blick auf die Moviepilot-Filmdatenbank wirft, kann man sehen, dass von den über 61.000 Filmeinträgen mehr als ein Drittel aus den USA stammen (oder zumindest dort koproduziert wurden): Über 23.000 Filme aus dem Lieblingsfilmland der westlichen Welt lassen sich hier bewerten. Deutschland mit fast 15.000 Einträgen kann sich allerdings durchaus auch sehen lassen. Darunter sind jedoch auch eine Vielzahl an Koproduktionen, die lediglich mit deutschen Fördergeldern entstanden sind, jedoch kaum als deutsche Filme bezeichnet werden können. Nach Deutschland wird es allerdings schon deutlich dünner: Nur Frankreich (5.400) und Großbritannien (4.100) schaffen es auf über 4.000 Filme. Erstes asiatisches Land ist übrigens Japan mit gut 1.630 Filmeinträgen. Nimmt man mal alle nordamerikanischen und europäischen Filme zusammen, kommt man auf fast 55.000 Einträge. Das sind über 88 Prozent aller hier zu bewertenden Filme. Afrika schafft es insgesamt hier übrigens gerade einmal auf 372 Filme; das enspricht 0,6 Prozent. [Alle Zahlen sind durchaus in geringem Ausmaß fehlerbehaftet, da einige Filme in der Datenbank entweder keine Länderzuweisung besitzen oder von mehreren Staaten koproduziert wurden und somit eventuell gar nicht oder mehrfach in die Rechnung eingehen. Aber die Fehlerabweichungen sollten nicht allzu groß sein.]

Zunächst ging ich davon aus, dass diese Zahlen unser Filmschauverhalten im deutschsprachigen Raum reflektieren würden. Tatsächlich glaube ich, dass es sogar noch deutlich unausgewogener sein dürfte. Warum ich das denke? Nun, ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Anzahl der bewertenen Filme nach Herkunftsländern hin zu untersuchen: Und dies am Beispiel von mir selbst, der ich wahrscheinlich nicht mal ansatzweise dem durchschnittlichen Filmschauer in Deutschland entspreche. Serien habe ich hier ausgeklammert. In die Zählung gehen nur Spielfilme, Dokumentarfilme oder Kurzfilme ein. Dazu habe ich jedem Film allerdings nur ein Land zugewiesen, um Doppelnennungen auszuschließen.

Ich könnt mir glauben: Ich würde jetzt sehr, sehr gerne über interessante Erkenntnisse und Teilaspekte meines "Data Minings" berichten und viel tiefer auf die Details eingehen: Beispielsweise könnte ich die Länderverteilung nach Durchschnittsbewertung oder Produktionsjahren sortieren oder aufzeigen welche Länder besonders viele hohe (oder natürlich auch niedrige) Bewertungen von mir erhalten haben. Aber das würde an dieser Stelle einfach zu weit führen, weswegen ich mich auf das Wesentliche beschränken werde. Und dies ist in folgender Abbildung dargestellt:

In der Abbildung habe ich einmal die prozentuelle Verteilung meiner bewerteten Filme nach Herkunftsländern aufgetragen. Mit den roten Balken habe ich die insgesamt gesehenen Filme dargestellt und die blauen Balken repräsentieren die Länderverteilung der ausschließlich dieses Jahr erstmalig gesehenen Filme, das heißt für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September 2015.

Doch konzentrieren wir uns zunächst einmal auf die Gesamtwerte, also die roten Balken. Zu sehen sind die bei mir sechs zahlenmäßig stärksten Nationen: USA, Deutschland, Frankreich, Japan, Großbritannien und Südkorea. Der letzte Balken umfasst die restlichen 52 Länder. Wie der erste Wert zeigt, sind über 55 Prozent meiner auf Moviepilot bewerteten Filme aus den USA, also mehr als die Hälfte. In absoluten Zahlen sind das übrigens 2.470 Filme. Damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Wenn das schon bei mir so hoch ist, wie muss das erst bei anderen aussehen? Auf den folgenden Plätzen rangieren wenig überraschend Deutschland (inklusive der DDR) mit 10,5 Prozent (469 Filme) und Frankreich mit 7,8 Prozent (349).

Wie sicherlich fast jeder von uns, so habe auch ich in meiner Jugend zunächst hauptsächlich amerikanische Produktionen konsumiert. Erst später kam das Interesse für andere Kulturen und fremdartig erscheinende Filme auf. Um dies einmal zu untermauern, habe ich den Gesamtzahlen die Werte der letzten 9 Monate gegenüber gestellt (blau). Im Jahr 2015 sind bisher über 80 Prozent meiner 313 erstmalig gesehenen Filme nicht aus den USA (im Vergleich zu 45 Prozent insgesamt). Während fast sämtliche Staaten einen prozentuellen Anstieg zu verzeichnen hatten, gingen die Prozentzahlen für die USA und auch Großbritannien erheblich runter. Die Vereinigten Staaten kommen "nur" noch auf 19,8 Prozent (62 Filme). Das zweitstärkste Land ist mit 16 Prozent nun Japan (50 Filme), während Deutschland bei 15,7 Prozent (49 Filme) liegt. Doch der höchste Prozentwert läßt sich nun - und darauf bin ich besonders stolz - bei den sonstigen Ländern finden: 2015 habe ich bisher Filme aus 37 Staaten gesehen. Darunter sind einige Länder, mit denen ich mich bisher noch überhaupt nicht (Senegal und Indonesien) oder nur extrem wenig (z.B. Singapur, Tschechien, Philippinen oder auch Indien) beschäftigt hatte.

Ich hoffe, ich habe niemanden mit meinen (wirklich gerade einmal an der Oberfläche kratzenden) Zahlenspielen gelangweilt. Und mal am Rande: Ich hätte tatsächlich total gerne eine Statistikfunktion auf Moviepilot, um seine eigenen Bewertungen, aber auch die der anderen User, auf bestimmt Aspekte hin untersuchen zu können. Aber das alles ist jetzt nicht so wichtig. Was ich eigentlich nur sagen wollte ist folgendes: Schaut doch auch einfach einmal Filme aus Ländern, mit denen ihr bisher keinen Kontakt hattet, egal ob nun aus Argentinien, von den Philippinen oder auch aus der Türkei. Es wird sich sicherlich lohnen, das könnt ihr mir glauben! Unsere Welt ist so groß, vielfältig und facettenreich, warum soll man da jedes Jahr wieder Urlaub auf dem gleichen Campingplatz machen?

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Auch ihr, liebe Leser, könnt bei dem Projekt "Blog Me If You Can" mitmachen und etwas zu dem nächsten Monatsthema schreiben. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in den FAQs. Das Thema für den 1. September lautet "Filmlektüre". Wenn ihr Interesse habt, meldet euch einfach bei chita91 oder Grimalkin!

Alle weiteren Texte zum Thema "Fernweh" findet ihr hier:

Grimalkin: Der schlechteste Tourist der Welt

chita91: Paradise Falls & Calgary - Der Ort deiner Träume

Absurda.: Wenn die Liebe zur Momentaufnahme wird

Martin Canine: Regnerische Nächte im Glanz des Neonlichtes

Schlopsi: The desire of a (Fan)girl

alex023: I'm in a crowd, but alone - I'm here, but I'm not

Und hier gibt es eine Übersicht sämtlicher bisherigen "blog me if you can" Artikel.

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