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Wir leben in Klischees - über Erwartungen und Emotionen

09.10.2015 - 00:39 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Befreit euch!
Weltkino
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Die Last der vorgelebten, vielleicht falschen Erwartungen nagt an der Seele des Menschen. Ein Plädoyer für echte Emotionen und die Reduzierung von falschen Klischees und zu viel Ironisierung, die bloß miserable Illusionen hervorrufen.

In Xavier Dolans Mommy gibt es diese Sequenz, in der sich Protagonist Steve von den Lasten des Lebens befreit und für den Moment, unterlegt vom Song „Wonderwall “ der britischen Band Oasis, durch die suburbane Stadt, die Welt, das Leben fährt, dabei die Arme ausbreitet und sein Mund sich zu einem breiten, breiten Grinsen öffnet. In diesem Moment wird man genauso mit dem Glück erfüllt, welches der Protagonist zu fühlen scheint, man nimmt so intensiv teil, wie es nur möglich ist. Der Grund dafür ist die Authentizität, die sich aus der Komposition von Inhalt, Inszenierung und Reflexion für den Zuschauer ergibt. Dolan erschafft, wie in allen seinen Werken, eine Nähe zu seinen Figuren, die sie zu echten Menschen mit echten Gefühlen werden lässt und nicht zu abstrakten Bildern oder Symbolen eines Wunschtraums, eines Ideals, welches irgendwie eingetrichtert werden soll. (Die Ausnahmen bestätigen die Regel.)

In den allermeisten Romantischen Komödien ist der Plot doch nur so von Klischees durchzogen, nicht nur auf der narrativen und stilistischen Ebene, sondern auch in der Ausdrucksweise der Gefühle: man erwartet dann z.B. natürlich das obligatorische Happy End der RomCom – etwas, das letztlich nichts Schlechtes sein muss. Vorhersehbarkeit ist nicht gleichzusetzen mit mieser Qualität des Werkes. Wenn etwas ansehnlich und ehrlich umgesetzt ist, dann vermag es auch zu gefallen. Selbstverständlich wird jeder gerne mal von einem Twist überrascht, man mag die undurchsichtigen Handlungsstränge, die sich erst im Nachhinein auflösen – wenn es auch manchmal nur ein plumpes „Wer ist der Mörder?“-Spiel ist. Die Qualität liegt letztlich in der Umsetzung, in der Darstellung – wie wird dieses oder jenes Handlungselement präsentiert? Und viel wichtiger: als was und mit welcher Bedeutung behaftet offenbart es sich? In einem solchen Happy End einer RomCom kann man eine Menge Freude finden; das Herz des Zuschauers kann dahin schmelzen, die Tränen können die Wangen herunterrollen. Doch dies kann nur unter der Prämisse geschehen, dass das, was auf dem Bildschirm gezeigt wird, nicht fremd wirkt. Sondern echt und in der Essenz unaustauschbar.

Alles wird ironisiert

Eine Stolperfalle für echte Emotionen im Kino ist natürlich die gesellschaftlich-konstruierte Wirklichkeit: Wir leben in einer Zeit, die oft und gerne als Postmoderne bezeichnet wird. Diese drückt sich vor allem in den letzten Jahren durch ein Maß an Ironie, Sarkasmus und Zynismus aus, welcher in Maßlosigkeit zu versinken droht. Natürlich machen Ironie und Sarkasmus immer wieder Spaß, Zynismus ist oft der letzte Ausweg, um nicht in tiefe Trauer zu verfallen – ich selbst bin alle drei sehr oft und irgendwie auch gerne. Doch wenn die Qualität, die Authentizität der Gefühle darunter leidet, geht es zu weit. Wir drücken unsere Gedanken nicht mehr aus, wir sind abgestumpft. Romantiker der alten Schule kämpfen auf verlorenem Posten. Wir haben Bindungsängste und Furcht vor Fehlern, welche die durchgeplante Zukunft gefährden. Dabei wollen wir doch alle nur geliebt werden. Doch lassen wir das nicht zu, weil wir entweder nicht verstanden haben, was für uns Liebe bedeuten kann oder es für uns nicht zulassen, wenn wir meinen, noch nicht bereit zu sein. Das führt dann auch dazu, dass man sich in einem öffentlichen Rahmen kaum noch seinen Emotionen hingibt, man grinst und lacht lieber darüber hinweg und sagt, dass alles doch nicht so schlimm sei. Aber gerade das macht alles nur noch schlimmer – wenn man sich damit wirklich auseinandersetzen würde, könnte man natürlich lachen. Doch so bleibt es in der Luft hängen. Womöglich ist das aber auch nur ein Problem der Jugend – jedoch erscheint es mir, zumindest in Teilen, auch wie ein Problem der postmodernen Gesellschaft.

Wir leben in Klischees

Natürlich werden diese nicht aus dem Nichts heraus gebildet. Irgendwann lag vielleicht mal eine Wahrheit in ihnen; nur sind sie mittlerweile arg abgegriffen. Sie müssen auf eine solche Weise individualisiert werden, dass sie nicht mehr als Klischees erscheinen. Liebe, als Beispiel, ist letztlich immer Romantik und, auch wenn der Begriff negativ behaftet ist, Kitsch. Doch drückt sie sich immer wieder anders aus, bei jedem Menschen, bei jeder Beziehung verhält es sich unterschiedlich und gerade deshalb ist die Faszination darum so unendlich groß und ungebrochen und der Umgang so unglaublich schwierig. Doch vielleicht bläuen Hollywood-Filme dem Zuschauer die falschen Klischees ein. Hatte jemand schon mal ein Happy End im realen Leben? Womöglich hat man sich mal an einem Punkt befunden, an welchem der Film endet – doch müssen wir uns davor fürchten, auf das, was danach folgen mag, zu schauen? Wir sollten dies nicht tun und doch wirkt es oft so, als sei alles Mögliche verbraucht worden, um an diesen Punkt zu kommen. Und das auf eine Weise einer Melodie, die vom Leben nicht gespielt wird. Letztlich entspringen doch die Vorstellungen von gewissen Handlungsverläufen den naiven Vorstellungen ihrer Erschaffer – die womöglich auch schon seit jeher durch falsche Erwartungen vorgeprägt sind; dies alles führt dann zu neueren, falschen Erwartungen bei den Rezipienten. (Siehe auch: Die Manifestierung von Handlungsmustern).

Vielleicht mag man sich gerne in diese Fantasien flüchten. Daran möchte ich auch nichts aussetzen. Es wird aber Zeit, dass sich vor allem das Mainstream-Kino nicht mehr in diesen falschen Klischees verliert und wieder anfängt, echte Emotionen zu zeigen. Denn es gibt auch immer noch einen Unterschied zwischen einem unrealistischen „Alles wird gut“-Ende eines Films, der vielleicht ein paar Fakten verdreht und dem Zuschauer das besondere, schöne Gefühl vermitteln will und einer gewissen Falschheit der gezeigten Emotionen. In vielen heutigen, vor allem großen Filmen fühle ich mich verloren, weil ich mich nicht wiedererkenne. Die Gefühle, die von den Figuren vermittelt werden, wirken distanziert und unbrauchbar für die Selbstreflexion. Sie sind entfernt und unnahbar, sie bleiben Abziehbilder von Wunschvorstellungen und verirrten Träumen der schrägen, naiven Erwartungen.

Befreiung?

Jeder mag sich anders mit Filmcharakteren identifizieren können, die Rezeption der dargestellten Gefühle unterscheidet sich mit großer Sicherheit auch; doch ich bin mir irgendwie ziemlich sicher, dass trotz der Verschiedenheit der Wahrnehmung von Liebe und anderen (intensiven) Gefühlen, die Authentizität und Echtheit in der Realität immer erkannt werden kann – über Unterschiedlichkeit, Sprachen und Kulturen hinweg. Man spürt es, man fühlt es. Und wenn man das kann, kann man es auch ausdrücken. Doch dazu muss ein Umdenken stattfinden – wir müssen uns wieder bewusst werden, warum wir leben: die Gefühlen geben uns den Antrieb, die Inspiration zu leben. Diese sollen aber auch endlich wieder durch die Massen an künstlerischen Erzeugnissen beeinflusst werden und durch deren echte, ungefilterte Liebe aus und an der Kunst – nicht heraus aus einer abgestumpften Parodie dessen, was eigentlich so groß sein könnte.

Genauso wie der Herzschlag sich erhöht, wenn man den Refrain zu „Wonderwall“ hört und die Befreiung ersichtlich wird. Genauso wie die Tränen zu salzig schmecken, wenn die Euphorie nur ein Ausflug war – es sind eben diese Schwankungen, die das Leben ausmachen und nicht eine glückselige Einöde, die von hier bis dort nirgends existiert.

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