„Es ist wohl ein Symptom für unsere wirre Zeit, dass die Leute in [bitte Film einsetzen] gerannt sind, um sich Angst machen zu lassen, weil sie schreien wollten, verschreckt und angeekelt wieder herauskommen, aber irgendwie doch stolz darauf, dass sie es ausgehalten haben“, schrieb der Filmhistoriker und Kritiker William K. Everson. Welchen Film könnte er damit wohl meinen? The Cabin in the Woods? Possession – Das Dunkle in dir? Saw 17? Menschen neigen dazu, die Zeit in der sie leben, als wahlweise wirr, hektisch oder auch gleich völlig verkommen zu beurteilen, und so überrascht es letztlich doch nicht, dass das Zitat aus Klassiker des Horrorfilms einen Streifen aus dem Jahre 1973 beschreibt.
Genialer Klassiker oder fehlgeleitete Groteske?
In Der Exorzist ließ William Friedkin die wohlerzogene 12-jährige Tochter einer Schauspielerin in Washington D.C. vollkommen ausflippen. Ihr Problem waren nicht schlechte Schulnoten oder langsam interessant werdende Begegnungen mit dem anderen Geschlecht, sondern das pure Böse, ein Dämon. Nun ja, kommt vor. Zwei Jesuitenpater nehmen letztlich einen Exorzismus an dem völlig neben sich stehenden Mädchen vor, und was dabei im Kinderzimmer von Regan geschieht, gruselt auch heute, vierzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des Films, noch die Zuschauer.
Die Kritiker sahen Der Exorzist in den Siebziger Jahren gespalten. Während die einen den Klassikerstatus prophezeiten, kritisierten andere geradezu groteske Spezialeffekte. Als große Schwäche wurde dem Regisseur angekreidet, er vermittle nicht genügend visuelle Informationen über seine Figuren, und so würden sich einige Passagen durch unnötigen Smalltalk ewig hinziehen.
Die Geschichte einer verstörenden Szene
Apropos groteske Spezialeffekte. Einige Kinos in den Vereinigten Staaten sahen sich 1973 nicht umsonst gezwungen, exklusive „Exorzist Kotztüten“ an ihr Publikum zu verteilen. Kritikerlegende Roger Ebert wunderte sich sogar, dass der Film ein R- anstelle eines X-Ratings bekam. Und dabei hatte der Regisseur in seiner Originalfassung sogar noch auf einige der Effekte verzichtet. Kurz vor der Premiere am 26. Dezember schnitt Friedkin die Szene mit dem berühmten Spider-Walk heraus, weil die Sicherheitsseile, die Schlangenfrau Linda R. Hager in ihrer gewöhnungsbedürftigen Position hielten, einfach zu sichtbar erschienen.
1998 erschien die verstörende Szene schließlich auf der 25th Anniversary Special Edition-DVD, und zwei Jahre später kam The Exorcist: The Version You’ve Never Seen in die Kinos, für die William Friedkin die Seile nachträglich mit CGI entfernen ließ und eine etwas blutigere Variante kreierte. Generell gibt es mittlerweile so viele verschieden lange Versionen, Prequels und Sequels von Der Exorzist, dass es mich als eher Horror-skeptischen Kinogänger ähnlich schüttelt wie die besessene Regan in ihrem Bett.
Das verfluchte Filmset
Mit dem Titel und dem zentralen Motiv des Filmes war wohl von vornherein klar, dass Der Exorzist Debatten auslösen und eventuell auch den Unmut höherer Mächte auf sich ziehen würde. William Peter Blatty, der Autor des zugrundeliegenden Romans, der den Stoff außerdem für das Drehbuch adaptierte und den Streifen auch produzierte, ließ das Filmset vorsorglich mehrmals von Priestern segnen. Trotzdem hielt sich hartnäckig das Gerücht, der Dreh sei verflucht.
Ein Feuer im Studio zerstörte alle Sets des MacNeil-Hauses – mit Ausnahme des Kinderzimmers von Regan – so bestätigte es Hauptdarstellerin Ellen Burstyn Jahre später in ihrer Autobiografie. Unfälle geschahen am Set, Linda Blair bekam die zu erwartenden Morddrohungen und der irische Schauspieler Jack MacGowran, Darsteller des Regisseurs Burke Dennings, starb kurze Zeit nach Beendigung des Drehs an der Grippe.
Ein bleibendes Vorbild in wirren Zeiten
Seinen Status als großes Vorbild im Horrorgenre hat Der Exorzist auch heute nicht verloren. Die Inszenierung von William Friedkin gruselt, irritierende Geräusche und der sparsame Einsatz von Musik jagen kalte Schauer über den Rücken und mit langsamem Zoom kriecht die Kamera durch die Räume wie das Böse durch die Venen von Regan. Dazu noch ihre verzerrte Teufelsfratze, und fertig ist ein Streifen, der noch heute zu schocken vermag – in „unserer wirren Zeit.“
Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1973 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
02. Mai 1973 – Florian Henckel von Donnersmarck, Regisseur von Das Leben der Anderen
15. Juni 1973 – Neil Patrick Harris, Anzugträger Barney aus How I Met Your Mother
25. August 1973 – Fatih Akin, Regisseur von Soul Kitchen
Drei Filmleute, die gestorben sind
10. März 1973 – Robert Siodmak, Regisseur von Menschen am Sonntag
21. April 1973 – Merian C. Cooper, Regisseur des Original King Kong und die weiße Frau
31. August 1973 – John Ford, legendärer Westernregisseur, z.B. Höllenfahrt nach Santa Fé
Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Der Pate von Francis Ford Coppola (Bester Film, Bester Hauptdarsteller)
Goldener Bär – Ferner Donner von Satyajit Ray
Society of Film and Television – Cabaret von Bob Fosse
Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Der Exorzist von William Friedkin
Der Clou von George Roy Hill
American Graffiti von George Lucas
Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
11. September 1973 – In Chile kommt der Diktator Augusto Pinochet durch einen Militärputsch an die Macht
06. Oktober 1973 – auf der Sinai-Halbinsel bricht der vierte arabisch-israelische Krieg aus
- Durch den Jom-Kippur-Krieg wird die erste Ölkrise ausgelöst