Dieter Hallervorden hat nicht die Cancel Culture bloßgestellt, sondern nur sich selbst

11.04.2025 - 16:30 Uhr
Dieter Hallervorden erntet Kritik für seinen Auftritt in der ARD. Überraschend kam das nicht.
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Dieter Hallervorden erntet Kritik für seinen Auftritt in der ARD. Überraschend kam das nicht.
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Dieter Hallervorden sorgte mit diskriminierender Sprache in der ARD für einen Riesen-Skandal – doch statt Einsicht zeigt er Empörung über zu viel "Wokeness". Das sagt mehr über ihn aus als über seine Kritiker:innen.

Komiker und Kabarettist Dieter Hallervorden gilt für viele Deutsche als Urgestein der Comedy-Szene. Während das ältere Publikum "Didi" noch aus seinen zotigen Glanzzeiten auf der Bühne kennen dürfte, weckt der Name bei Menschen meines Alters vermutlich wenige Erinnerungen. Und das ist auch kein Wunder: Kaum etwas ist so vom Zeitgeist abhängig wie Humor, jede Generation huldigt ihren eigenen Comedy-Ikonen und bei Menschen, die um die Jahrtausendwende geboren wurden, waren andere Stars prägender.

Im Jahr 2025 drängt sich Hallervorden plötzlich mit diskriminierender Sprache zurück ins Rampenlicht – und wettert lautstark gegen die "woke" Generation. Ich habe Redebedarf.

Dieter Hallervorden beim ARD-Jubiläum: Das ist passiert

Ein Rückblick: Dieter Hallervorden (89) tritt am Wochenende bei der Jubiläumsgala der ARD auf und performt seinen kultigen "Palim, Palim"-Sketch. Was vom Sender als liebevoller Nostalgie-Trip angedacht war, löst einen waschechten Shitstorm aus. Hallervorden hatte nämlich den Text seines Sketches verändert. Vor einem Millionenpublikum nutzt er diskriminierende Begriffe für schwarze Menschen sowie die Volksgruppen der Sinti und Roma und zwar im Kontext der veralteten Begriffe "N…-Kuss" und "Z…-Schnitzel".

Als er daraufhin im Netz mit heftiger Kritik konfrontiert wird, zeigt Hallervorden keinerlei Verständnis für die Reaktion. Statt Reue zu signalisieren, inszeniert er sich lieber als Opfer der sogenannten Cancel Culture und behauptet, dass "woke Menschen" Satire nicht verstehen würden.

Kommt euch diese Dynamik bekannt vor? Mir auch: Der Skandal erinnert stark an den Fall Thomas Gottschalk (74). Auch er galt als unangefochtener Altmeister der humorvollen Unterhaltung, bis seine antiquierten Ansichten immer öfter für Negativ-Schlagzeilen sorgten. Gottschalk reagierte nach dem kläglichen Ende von Wetten, dass..? pikiert auf die Vorwürfe und stempelte das heutige Publikum als zu sensibel ab.

Mit diesem Totschlagargument machen es sich Hallervorden, Gottschalk und Co. denkbar einfach, denn dieser Logik folgend hätten sie keinerlei Schuld an der Empörung des Publikums. Wer sich von diskriminierender Sprache gestört fühlt, müsse sich eben ein dickeres Fell zulegen – eine Täter-Opfer-Umkehr, wie sie im Buche steht. Dass die von Hallervorden benutzten N- und Z-Wörter als zutiefst beleidigende Begriff gelten, die Betroffene entmenschlichen und in ihrer Würde verletzen, fand in seiner Stellungnahme wie zu erwarten keine Erwähnung.

Ist es berechtigte Kritik oder Majestätsbeleidigung?

Eine Sache wirkt bei der ganzen Debatte dann aber doch ziemlich ironisch: Ausgerechnet die lautstarke "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Fraktion reagiert in der Öffentlichkeit äußerst empfindlich, wenn sie Gegenwind für ihre angestaubten Ansichten erhält. Als Dieter Hallervorden wegen seiner diskriminierenden Sprache kritisiert wurde, hätte er die Möglichkeit gehabt, zuzuhören und seinen Fehler einzugestehen. Online gibt es zahlreiche Videos, in denen von Rassismus betroffene Menschen erklären, wie schmerzhaft dieser TV-Moment für sie war – doch Hallervorden lenkt die Debatte lieber auf das ausgelutschte Narrativ der Cancel Culture.

Aber wieso fällt es Gottschalk und Co. eigentlich so schwer, jegliche Form der Kritik anzunehmen? Die Antwort ist simpel, aber leider ziemlich deprimierend: Weil sie es bisher viel zu selten tun mussten. Hallervorden, Gottschalk und Co. sind weiß, reich und männlich und zählen somit zu den privilegiertesten Menschen des Landes. Lange Zeit waren sie am Puls der Zeit und haben den öffentlichen Diskurs mit ihrer Kunst mitgestaltet.

Diese Machtposition bröckelt seit einigen Jahren: Patriarchale Strukturen werden abgebaut, rassistische Sprache wird aus unserem Vokabular verbannt und betroffene Minderheiten können zum ersten Mal lautstark ihren Missmut daran äußern, was die weiße Mehrheitsgesellschaft lange Zeit okay fand. Ist Deutschland also wirklich sensibler geworden – oder hören wir vielleicht nur endlich denjenigen zu, die zuvor keine eigene Plattform hatten?

Der Protest gegen Dieter Hallervorden war kein Zufall

Dieter Hallervorden bekommt diese Veränderung nun am eigenen Leib zu spüren. Gewiss mag es unbequem sein, sich einzugestehen, dass das eigene Gedankengut aufs Abstellgleis verfrachtet wird, doch wie man mit diesem Gefühl umgeht, liegt in der eigenen Hand. Stars wie Hape Kerkeling machen vor, dass Selbstkritik funktioniert, ohne die Fans von früher zu vergraulen: Er gibt offen zu, dass er einige seiner Sketche heute nicht mehr drehen würde und niemand hat ihm dafür den Kopf abgerissen.

Hallervorden hingegen hat sich für Krawall entschieden: Er will mit seinem Auftritt gezielt provozieren, um empörte Reaktionen im Netz hervorzurufen. Als erfahrener Rhetoriker hätte er über genügend Sprachgeschick verfügt, um seine Kritik ohne rassistische Sprache deutlich zu machen, doch dann hätte niemand über ihn gesprochen. Der erwartbare Shitstorm lieferte ihm die notwendige Vorlage, um sich als Märtyrer im Namen der Meinungsfreiheit bestätigt zu sehen. Ein Narrativ, dem sich auch Gottschalk nach dem Ende von Wetten, dass..? bediente, um sich die Opferrolle von vornherein selbst zurechtzuschustern.

Niemand kann wissen, was in Hallervorden, Gottschalk und Co. wirklich vor sich geht, doch ein Eindruck stellt sich bei mir zwangsläufig ein: Sie scheinen Angst davor zu haben, dass die Welt nicht mehr so tickt, wie sie es sich wünschen. Wer es gewohnt war, alles sagen zu dürfen und damit ungeschoren davonzukommen, für den fühlt sich dieser Wandel wie eine existenzielle Bedrohung an. Erstmals müssen Gottschalk, Hallervorden und Co. um ihren "Thron" bangen. Aber ob ihnen dies überhaupt bewusst ist, können sie nur selbst beantworten.

Für manch einen Fan mag es sich grausam anfühlen, die Held:innen der eigenen Kindheit plötzlich mit kritischer Distanz zu hinterfragen. Dies jedoch als Cancel Culture abzutun und sich der inhaltlichen Kritik zu verweigern, darf keine Lösung sein. Solange das N- oder das Z-Wort unreflektiert im Live-TV gesagt werden dürfen, sind wir es marginalisierten Gruppen schuldig, Ungerechtigkeiten mit voller Härte zu benennen – auch wenn es bedeutet, dass dabei so manch eine Legende entzaubert wird.

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