Fargo - Staffel 3, Episode 3: Fargo stellt sich auf den Kopf

05.05.2017 - 09:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
FargoFX
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Und was genau sollte das jetzt? Beantworten wir zusammen ein paar Fragen zur 3. Folge der 3. Staffel von Fargo, die das Konzept der Serie so stark variiert wie bisher keine andere Folge.

Kann jemand gleichzeitig gut und böse sein? Täter und Opfer? Chief und Nicht-Chief? Das ist eine der Kernfragen der außergewöhnlichen 3. Episode dieser Staffel von Fargo. Außergewöhnlich, weil sie vieles, was wir als Bausteine der Serie betrachten, in den Hintergrund rückt, wenn nicht gar ganz aus dem Bild. Ewan McGregor, David Thewlis und Mary Elizabeth Winstead nehmen sich in The Law of Non-Contradiction (S03E03) eine Auszeit, ebenso die exzentrischen Gangster und der Schnee von Minnesota. Dafür bekommt Carrie Coon, deren Polizistin Gloria Burgle zuletzt eher eine Nebenrolle spielte, eine ganze Episode der 3. Staffel von Fargo für sich. Glorias introvertierte, vereinsamte Natur ist einer der Gründe, warum diese Staffel weniger um unsere Liebe bettelt als die warmen Kleinstadt-Cops vergangener Folgen. Gemeinsam mit ihr und einem kleinen Roboter entführt uns Fargo nun ins sonnige Los Angeles des Jahres 1975. Nichts, was wir daraufhin über den Science-Fiction-Autor Thaddeus Mobley lernen, hat einen direkten Bezug zu seinem Mordfall im Jahr 2010. Die ganze Folge ist im Prinzip überflüssig und gleichzeitig von elementarer Bedeutung. Ein Paradox.

Gegen den Willen des Chiefs reist Gloria nach Los Angeles, um den Spuren ihres ermordeten Teilzeit-Stiefvaters zu folgen. Der verbitterte Alkoholiker Ennis Stussy (Scott Hylands) war als junger Mann ein träumerischer Science-Fiction-Autor namens Thaddeus Mobley, der in dem Split-Screen-satten Flashback von Thomas Mann gespielt wird. Das Casting impliziert schon die unscheinbare Nettigkeit von Mobleys Charakter, sodass er im Haifischbecken Hollywood quasi eine wandelnde Einladung für den nächstgrößeren Fisch ist. Der verspricht ihm in Gestalt des Produzenten Howard Zimmerman (Fred Melamed) das Blaue vom Sternenhimmel herunter, kräftig unterstützt vom verführerischen Starlet Vivian Lord (Francesca Eastwood). Die Sirene lockt ihm die Vorschüsse aus den Taschen und füttert ihn mit Koks, bis die Situation aus dem Ruder läuft und der sanftmütige Tad mit dem Gehstock auf seinen Produzenten einschlägt. Diese Infos sammelt sich Gloria in mühsamer Polizeiarbeit im Verlauf der Folge zusammen. Zimmerman vegetiert anno 2010 in einem Krankenhaus vor sich hin. Vivian, die im Alter von Francesca Eastwoods realer Mutter Frances Fisher gespielt wird, verdingt sich als Kellnerin. Der Schein der Filmwelt ist verblasst, die Geschichten aus den glorreichen 70ern ebenso. Typisch L.A.

'You can smell the ocean.' - 'There's a view?' - 'No, there's a smell. At low-tide.'

Los Angeles kommt in dem Drehbuch von Matt Wolpert und Ben Nedivi alles andere als gut weg. Der triste Stau artet leider nicht zur Musical-Nummer aus. Weihnachten wirkt dank des Wetters und der ganzen Santa Cläuse einfach nur creepy. Glorias Mietwagen wird vor ihren Augen geklaut. Zu guter Letzt schaut Rob McElhenney aus Philadelphia vorbei, um sich als entnervender Großstadt-Bro an Gloria ranzuschmeißen und sich über ihren Midwesterner-Zungen-Drall lustig zu machen. Auf Dauer wäre diese Klischee-Sammlung aus Sicht des Kleinstädters im Moloch wenig ergiebig. In dieser Fargo-Episode bildet sie allerdings eine erfrischende Garnierung eines durchaus melancholischen Hauptgangs. Schließlich erzählt die Folge parallel drei Geschichten und das mit fließenden Übergängen: die von Gloria allein in L.A.; die von Tads Hollywood-Pleite und jene des kleinen Androiden Minsky aus Tads Roman The Planet Wyh. Mitten in der 3. Staffel verwandelt sich Fargo nämlich in einen Zeichentrickfilm.


Kreiert wurden die animierten Sequenzen über den 2,38 Millionen Jahre alten Roboter von der Firma Floyd County, die auch die Agentenserie Archer verantwortet. Die minimalistischen Strichmännchen und ihre Collage-artigen Aquarell-Hintergründe rufen aber die Filme von Don Hertzfeldt in Erinnerung, der zuletzt für World of Tomorrow eine Oscar-Nominierung erhielt. Der Grat zwischen Hommage und offenem Rip-off scheint mir hier sehr fadenscheinig. Nichtsdestotrotz fasst sich der Animations-Einschub erstaunlich gut in die Serie ein. Mehr noch als sonst tendieren die Autoren um Noah Hawley in Staffel 3 dazu, ihre Kernthemen durch Gleichnisse und ganz offene Erklärungen in die Folgen einzustreuen. Das liegt in der Natur der "Story", wie der Auftakt jeder Episode betont. Die Staffel begann schließlich mit einem unerklärten Prolog in der DDR und in dieser Folge werden Ideen der Quantenmechanik bemüht, primär, weil es das Drehbuch verlangt, nicht die innere Dynamik der Figuren.

Android Minsky bildet das stimmigste Sinnbild dieser Art, denn seine Geschichte berührt. Allein von seinem toten Schöpfer zurückgelassen, dokumentiert er Schöpfung und Vergehen ganzer Welten, ehe er - die A.I. - Künstliche Intelligenz, der Wall-E - in ferner Zukunft sein Ziel erreicht und abgeschaltet wird. "I can help" lautet seine kindliche Catchphrase, ein tragischer Widerspruch für ein Geschöpf, das seinem Wesen nach unbeteiligt sein muss. Sein Auftrag lautete "Let them know it wasn't all for nothing", also die Antwort zu geben auf das Why? im Planet Wyh. Eine Antwort, die wir nie hören, womit die Fargo-Episode wieder die existenzialistischen Motive der 2. Staffel aufgreift. Wenn das Leben eine zufällige Kollision von Menschen und Orten ist, was ist dann der Sinn des Ganzen? Der Sinn von Minskys Dasein ist nicht die Antwort auf die große Frage des Daseins. Sein Dasein erhält erst durch seine Aufgabe ihren Sinn. Seine Aufgabe ist die Dokumentation der Wahrheit. Wie auch immer die genau aussieht.

Die Wahrheit bzw. ihre Abwesenheit hängt über der 3. Staffel von Fargo und sie führt uns vom kleinen Roboter Minsky direkt zur verloren wirkenden Polizistin Gloria Burgle in Los Angeles, Kalifornien. Während ihrer Investigation erlebt sie ihre eigene Partikel-Kollision - um das Vokabular des alten Hobby-Quantenmechanikers im Krankenhaus zu nutzen. Zweifach trifft sie auf den von Ray Wise gespielten Paul, der dann ohne Kommentar aus der Folge verschwindet. Der Twin Peaks-Darsteller verleiht dem Ganzen einen verträumten Einschlag und hätte von mir aus ruhig weiter smalltalken können. In der Bar gibt er seine Version von Schrödingers Katze zum Besten: Eine Frau erhält von ihrem Angetrauten eine Scheidungsurkunde. Wenn er nicht binnen 12 Monaten aus dem Krieg zurückkehrt, wird sie rückwirkend gültig, die Scheidung vom ersten Tag seiner Abwesenheit vollzogen. Ein Jahr lang ist die Frau gleichzeitig geschieden und verheiratet, so wie die Katze im Gedankenexperiment aus der Quantenmechanik gleichzeitig tot und lebendig ist - bis man ihren Zustand prüft. Es ist ein Paradox, verbildlicht durch die Box, die Gloria in ihrem Hotelzimmer findet, und die sich nur öffnet, in dem sie sich gleichzeitig schließt.

Abgesehen vom fundamentalen Neid auf solch intellektuell stimulierende Bar-Konversationen, regen die Gespräche und Ennis' Hintergrundgeschichte womöglich auch Glorias persönliche Sinnsuche an. Die Folge wird bereits mit der Mike Yanagita-Szene aus dem Original Fargo verglichen. Diese fügt der Geschichte prinzipiell auch nichts hinzu, aber sie bewegt Polizistin Marge (Frances McDormand) dazu, den Wahrheitsgehalt von Jerrys (William H. Macy) Geschichte zu hinterfragen. Gloria deckt nun die Gründe für die Doppelidentität ihres Stiefvaters auf und damit seine persönliche Wahrheit, Opfer und Täter zugleich gewesen zu sein. Um das anno 2010 als Wunderwerk betrachtete soziale Netzwerk schlechthin zu zitieren: Es ist kompliziert.

Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch aus dem Episodentitel besagt, dass "A ist B" und "A ist nicht B" nicht gleichzeitig zutreffen können, da sich die beiden Aussagen widersprechen. Die Doppelgänger und falschen Identitäten dieser Staffel, Schrödingers Scheidungsurkunde, die guten und schlechten und guten schlechten Menschen stehen dem gegenüber. In der Auffächerung dieser logischen und philosophischen Fragestellungen gehen die Fargo-Autoren nun wenig subtil vor, eher mithilfe von offensichtlichen Metaphern statt tiefgehender Charakterisierung. Es ist immer noch dieselbe Serie, die eine Figur hinterm Tresen Camus' Mythos des Sisyphos lesen ließ, und wer von diesem durchaus oberflächlichen existenzialistischen Rätselraten in Staffel 3 genug hat, dem ist das schwer zu verübeln. Andererseits zeigt eine Folge wie The Law of Non-Contradiction, dass es sich die Autoren längst nicht in ihrem Kleinstadt-Trott gemütlich gemacht haben. Was auch auf Chief/Nicht-Chief Gloria zutreffen sollte. Während in Minnesota entscheidende Fortschritte im Todesfall Ennis Stussy gemacht werden, jagt sie einer Phantom-Verbindung hinterher. Sie führt nirgendwo hin und doch zum Ziel. Vielleicht. Die kommenden Folgen müssen zeigen, ob Gloria wie Android Minsky ihrer Bestimmung nachgeht. Chief oder Nicht-Chief, ist sie doch vor allem Polizistin und muss die Wahrheit zwischen all dem menschlichen Unglück herausfinden. "We may solve this thing yet."

Zitat der Folge: "I can help!"

Anmerkungen am Rande:

  • "By the hour then or...?"
  • Pleonixa Pictures hat ein B-Movie produziert, in dem ein UFO über einem Motel schwebt. Der Film, den Ennis vor seinem Tod sah?
  • Ennis/Thaddeus und Gloria sind Limo-Fans
  • "From small dreams huge civilizations arose, thought the android Minsky..."
  • Einmal wie in Barton Fink am Strand lungern...

Fargo Recap 1: Staffel 3, Episode 1: The Law of Vacant Places
Fargo Recap 2: Staffel 3, Episode 2: The Principle of Restricted Choice

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