Wahre Geschichten fungieren oft als willkommener Ausgangsstoff, um einen Film oder eine Serie zu erzählen. Mal kann es sich dabei um ein klassischen Biopic handeln, mal um einen Blick auf den Zeitgeist einer bestimmten Dekade. Die spannendste Sorte dieser Art von Geschichten sind jedoch die, die so unfassbar klingen, dass man sie eigentlich nicht glauben kann. Die Affäre Cum-Ex ist genauso eine solche.
Wer in den vergangenen Jahren das Nachrichtengeschehen einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, dürfte über das Schlagwort Cum-Ex gestolpert sein. 2018 wurde der Steuerbetrug in Milliardenhöhe durch eine aufwendige Recherche aufgedeckt. Sieben Jahre später dient diese Recherche als Grundlage für einen spannenden Thriller, dessen erste vier Episoden auf der Berlinale ihre Premiere feierten.
Was genau war nochmal der Cum-Ex-Skandal und warum ist das als Serie so spannend?
Bei dem Cum-Ex-Skandal handelt es sich um Steuerbetrug im großen Stil, der im Grunde darauf hinausläuft, dass Steuern bezahlt, durch ein Schlupfloch jedoch zweimal erstattet werden. Involviert in diesen Prozess sind Aktienhändler, Steuerberater, Bänker, Anwälte und Investoren – also viele verschiedene Figuren in unterschiedlichen Positionen, die wissentlich oder unwissentlich Teil der Betrugsmasche sind.
Hinter der Serie steckt Jan Schomburg, der zuletzt als Co-Autor von Maria Schraders gefeierten Regiearbeiten Vor der Morgenröte und Ich bin dein Mensch feinfühlige Gedanken ins Kino brachte. Jetzt skizziert er schreckliche Menschen, die so offensichtlich das Falsche tun, dass man sie nur verachten kann. Und dennoch will man irgendwie sehen, ob sie mit ihren dreisten Ideen davon kommen.
Dazu gehören der Anwalt Dr. Bernd Hausner (Justus von Dohnányi) und sein Protegé Sven Lebert (Nils Strunk), die sich als treibende Kraft hinter dem Cum-Ex-Skandal erweisen. Sie haben eine Lücke im System entdeckt und versuchen, so schnell wie möglich Profit daraus zu schlagen, müssen jedoch einige kritische Köpfe von ihrem Plan und seiner Legalität überzeugen. Das richtige Timing ist der Schlüssel zum Erfolg.
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Schomburg holt ebenfalls die Gegenfiguren ins Boot: Der in Dänemark sitzenden Steuerbeamtin Inger Brøgger (Karen-Lise Mynster) fallen einige Ungereimtheiten auf. Auch die deutsche Staatsanwältin Lena Birkwald (Lisa Wagner) zieht gegen den Betrug ins Gericht. Und dann wäre da noch Niels Jensen (David Dencik), der sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten entscheiden muss, für welches Team er spielt.
Die Affäre Cum-Ex ist immer dann am besten, wenn Justus von Dohnányi der Blick entgleist
Auf der einen Seite folgt Die Affäre Cum-Ex einem unverschämten Siegeszug. Auf der anderen Seite existiert ein Spannungsverhältnis, das für nervöse Blicke sorgt. Am besten sind die Momente, in denen Hausner und Lebert aus ihrem Investment-Sprech gerissen werden, da plötzlich die Enkelin oder die Eltern vor der Tür stehen und für einen ungemütlichen Realitätscheck sorgen, dem man sich nicht stellen will.
Nicht zuletzt ist für Hausner und Co. von Anfang an klar: Steuerrecht ist kein moralisches Recht. Kaum sind diese Worte ausgesprochen, legt die Serie den Finger in die Wunde und liefert wertvollen Zündstoff für das Drama: Schomburg stellt dem Rausch des Geschäfts, der nur aus gesichtslosen Zahlen und Vorgängen besteht, etwas Wahrhaftiges gegenüber, zum Beispiel die Unerbittlichkeit einer Waschanlage.
Mehrmals sucht Justus von Dohnányis Hausner jenen Ort auf, in dem sich ein schmutziger Wagen in ein strahlendes Geschöpf verwandeln kann. Als die Warteschlange vor der Waschanlage seines Vertrauens zu lang wird, mutiert aber der einfachste aller Prozesse in Die Affäre Cum-Ex zur unerwarteten Herausforderung, denn der Besitzer der Waschanlage lässt sich nicht so einfach mit ein paar Geldscheinen bestechen.
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Von Dohnányi im Jordan Belfort-Modus ist der Magnet dieser Serie, besonders, wenn sein Hausner nach Worten ringt, weil ihm die Welt doch nicht zu Füßen liegt. So groß die Neugier ist, wie genau sein Masterplan funktioniert: Nichts ist vergnüglicher als der Moment, wenn die Träume am Kliff der Realität zerschellen – ganz nach dem Vorbild von Filmen wie The Wolf of Wall Street. Trotzdem fehlt etwas.
Die erbarmungslose Schärfe von Bad Banks fehlt: Die Affäre Cum-Ex ist trotzdem unterhaltsam
Flott werden wir durch die ersten vier Episoden geführt. Das Unfassbare dieser wahren Geschichte bleibt allerdings oft bei Allgemeinplätzen hängen. Schomburg schafft keine Figur, die sich wie Paula Beers Investmentbankerin Jana Liekam aus Bad Banks ins Gedächtnis brennt. Ungeheuerlich und zerbrechlich zugleich frisst sie sich ihren Weg in die Bankenwelt, sodass man zu jeder Sekunde den Atem anhält.
Die Affäre Cum-Ex setzt zu sehr auf erprobte Muster und hält sich an Figuren fest, die uns als Zuschauende selten herausfordern. "Wo lebst du eigentlich? Nichts ist vollkommen ohne Risiko!", hallt es in einer Szene höhnisch durch den Raum, als einmal mehr die Fragwürdigkeit des Cum-Ex-Vorgehens zur Sprache kommt. Ein bisschen mehr von dieser schonungslosen Energie hätte der Serie selbst nicht geschadet.
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Unterhaltsam und kurzweilig ist das trotzdem alles. Nur eben nicht so messerscharf, wie man es nach Succession, Billions und eben Bad Banks erwarten könnte. Diese Serien versenken ihre Grenzfiguren in schwindelerregenden Wortgefechten und stoßen sie in eine Spirale aus menschlichen Abgründen und den verstörenden Prozessen des Kapitalismus. Die Affäre Cum-Ex fühlt sich dagegen deutlich zahmer an.
Wir haben die ersten vier Episoden von Die Affäre Cum-Ex im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen. Insgesamt umfasst die Miniserie acht Episoden. Wann diese regulär im Fernsehen ausgestrahlt werden, steht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht fest.