Der neue deutsche Thriller Islands zeigt, was fast alle Netflix-Krimis falsch machen

19.02.2025 - 23:57 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
Islands
Juan Sarmiento G. / Leonine
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Mit dem sonnig-düsteren Islands feierte der neue Film von Jan-Ole Gerster seine Premiere auf der Berlinale. Es handelt sich um einen düsteren Urlaubs-Thriller, der Netflix zeigt, wo es lang geht.

Jan-Ole Gerster ist eine Hausnummer im deutschen Kino – und das, obwohl er erst zwei Filme als Regisseur umgesetzt hat. Bereits sein Debüt, Oh Boy, verwandelte sich in eine der größten deutschen Kinoüberraschungen der vergangenen Dekade und steht jetzt als einer der Berlin-Filme schlechthin in den Geschichtsbüchern. Danach brachte er das Drama Lara auf die große Leinwand. Jetzt folgt Film Nummer drei.

Die wunderschönen Strände von Fuerteventura dienen als Kulisse von Islands, der auf der Berlinale 2025 seine Premiere feiert. Als "Vacation-Noir" bezeichnete Gerster den Film auf der Pressekonferenz und trifft damit genau ins Schwarze: Islands ist ein spannender Urlaubs-Thriller, der seiner Netflix-Konkurrenz in einem Punkt meilenweit voraus ist: Er weiß genau, wie er seine Kulisse effektiv zum Einsatz bringt.

Krimi-Thriller im Paradies: Nach Islands überlegt ihr euch das mit dem Fuerteventura-Urlaub nochmal

Islands beginnt mit den Bildern einer kargen Wüste, die wirkt, als wären wir irgendwo am Ende der Welt gelandet. Ein atemberaubender Ort von urzeitlicher Schönheit, der in eine vulkanische Landschaft übergeht. Die Menschen spüren das Beben zwar noch nicht, doch die Tiere – vor allem ein unruhiges Dromedar – wittern bereits die Katastrophe. Vorerst finden wir uns aber in einem idyllischen Urlaubsresort ein.

Hier gibt Tom (Sam Riley) jeden Tag Tennisstunden – zu seinem Leidwesen schon ab neun Uhr morgens. Zerstört von durchzechten Nächten, die er teilnahmslos im Neonlicht von Touri-Clubs verbringt, schleppt er sich auf den Tennisplatz. Ein Teufelskreis, dem er sich willenlos ergibt. Erst, als Anne (Stacy Martin) an die Tür seines trostlosen "Büros" klopft, funkelt in seinen Augen endlich wieder etwas Lebendiges auf.

Ob er spontan noch Unterrichtsstunden für ihren Sohn Anton (Dylan Torrell) geben kann, will Anne wissen. Man sieht schon, wie Tom innerlich verkrampft. Anne kann er aber nicht widerstehen, sodass er sogar den gehassten Premiumplatz um neun Uhr anbietet. Die erste Stunde läuft so gut, dass Anne direkt die zweite bucht. Anstelle der der Mutter taucht dieses Mal allerdings Antons Vater auf: Dave (Jack Farthing).

Anspannung liegt in der Luft, nicht zuletzt scheint es sehr offensichtlich zu sein, was für eine Art von Geschichte Gerster in seinem ersten englischsprachigen Film erzählen will. Entgegen aller Erwartungen entpuppt sich Dave nicht als der misstrauische Ehemann, der zur Bedrohung wird. Vielmehr verwandelt er sich in das große Fragezeichen des Films: Nach einem gemeinsamen Clubbesuch verschwindet er spurlos.

Islands sieht deutlich besser aus als die meisten Netflix-Krimis und schafft ein Gespür für die Umgebung

Das klingt fast wie die Prämisse einer neuen Harlan Coben-Serie bei Netflix, könnte aber auch die 2. Staffel von Ein neuer Sommer oder ein weiterer Vacation-gone-wrong-Film à la The Weekend Away sein. Während die Polizei ihre Ermittlungen einleitet und jede Figur im überschaubaren Ensemble verdächtigt wird, macht Gerster jedoch schnell klar, dass ihn nicht nur der Plot und dessen Auflösung interessieren.

Wo die meisten Netflix-Krimis einfach nur Figuren und Handlung in langweiligen Bildern aneinanderreihen, die nichts zu sagen haben, weil alle Ereignisse über den Dialog zu Tode erklärt werden, sucht Gerster nach Aufnahmen, die in Erinnerungen bleiben und ein Gespür für die Umgebung schaffen. Die Enge des Resorts, die Weite der Strände und irgendwo dazwischen der Tennisplatz mit all seinen Möglichkeiten.

Tom hat sich dazu entschieden, keine einzige davon zu nutzen. Das Paradies ist für ihn zu einem Gefängnis geworden, in das er sich mehr oder weniger freiwillig begeben hat. Aber wie kann das sein, dass jemand an diesem traumhaften Ort kein erfülltes Leben führt? Gerster kontrastiert die Schönheit des Paradieses mit den gebrochenen Ambitionen seines Protagonisten, ehe er den düsteren Krimi heraufbeschwört.

Für einen Moment wirkt es, als könnte man sich an diesem vermeintlich unbeschwerten Ort einfach treiben lassen. Eben genau den All-Inclusive-Urlaub genießen, den sich Anne und Co. so dringend wünschen. Gerster mischt dazu aber eine Atmosphäre, die den Film eher ins Territorium eines Hitchcock-Thrillers bewegt und an Psycho-Spiele wie Der talentierte Mr. Ripley erinnert, die sich in Ungewissheit sonnen.

Nach seinem Berlin-Doppelschlag zeigt sich Jan-Ole Gerster mit Islands von einer völlig neuen Seite

Auf der Pressekonferenz nannte Gerster zwei weitere Regiegrößen, deren Stil in seinem Film erkennbar wird: Wim Wenders (Paris, Texas) und Michelangelo Antonioni (Zabriskie Point). Vor allem der Einfluss von zweiterem ist in einzelnen Bildern definitiv zu sehen, wenn etwa Sam Riley und Stacy Martin an einem Felsen am Strand gefilmt werden und das Gefälle zwischen den Figuren sichtbar wird.

Martin steht vor dem Hintergrund des Meeres. Ihre Figur ist in diesem Augenblick genauso wenig greifbar, wie die Bewegungen der Wellen, gleichermaßen beunruhigend wie beruhigend. Riley baut sich vor dem seichten Blau des Himmels auf und versucht, sein Gegenüber zu entschlüsseln. So etwas Stimmungsvolles, das über die visuelle Ebene und einen klugen Schnitt erzählt wird, sucht man bei Netflix vergebens.

Auch im Hinblick auf Gersters Schaffen ist Islands ein interessanter Schritt. Nach Oh Boy und Lara hätte es problemlos passieren können, dass er für den Rest seines Lebens nur noch nachdenkliche Berlin-Dramen dreht. Doch in Islands steckt ein großer Genre-Drang, der Gerster an ungewohnte Orte führt. Nach diesem erotisch aufgeladenen Krimi-Thriller voller Abgründe darf man gespannt sein, wohin es ihn an Nächstes verschlägt.

Wir haben Islands im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen. Am 8. Mai 2025 startet der Film regulär in den deutschen Kinos.

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