Wie sich Homer Simpson ohne Norbert Gastell anfühlt

01.09.2016 - 14:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Nein? Juhuu? Nach dem Tod Norbert Gastells im letzten Jahr wird Homer Simpson seit Dienstag von Christoph Jablonka gesprochen. Können wir uns jemals an Homers neue Stimme gewöhnen? Nein. Müssen wir das überhaupt?

Einige Jahre vor seinem Tod erzählte der Synchronsprecher und Schauspieler Norbert Gastell der Welt , er sei daheim in München nicht mehr selbst ans Telefon gegangen. Weil Fans die Festnetz-Nummer herausgefunden hatten, schickte er stets seine Frau vor. Als dann eines Nachts, um halb drei, das Telefon klingelte, nahm Gastell, einen Notfall vermutend, doch den Hörer ab und hatte jäh einen betrunkenen Jugendlichen am Apparat. Dieser ersuchte taktvoll nach einer kurzen, akustischen Audienz: "Entschuldigen Sie bitte, aber heute ist mein Geburtstag, und ich wollte einmal mit Homer sprechen." Norbert Gastell sprach einige Minuten mit dem Fan, der anschließend beseelt wie ein in den Schlaf gewiegtes Baby aus seinem Geburtstag rausgeschlafen sein muss.


Beseelt von einem warmen Krächzen im Ohr, das im kurzen frustrierten "Nein!!" und noch mehr im "Juhuu!" so verlässlich durch- aber nie einbricht, dem Slapstick und der Albernheit etwas Verletzliches verleiht. In den drei Jahrzehnten seit den frühen 1990er Jahren war Norbert Gastell mit seiner eigenartigen Interpretation des White-Trash-Familienvaters Homer Simpson für das deutsche Unterhaltungsfernsehen ebenso unerlässlich wie Wetten, dass..?, Wer wird Millionär? und Die Sportschau am Samstag. Die tägliche Wiederholungsdauerschleife wurde zur Feierabend-Institution. Der Heimatsender ProSieben melkt seit jeher Die Simpsons, ihr größtes Gut neben Joko und Klaas. Täglich gibt es immerhin eine Stunde, während der man ProSieben getrost einschalten kann, wenngleich vorher taff und anschließend Galileo laufen. Aber die US-amerikanische Originalversion schauen? Für den modernen puristischen Seriengucker ist das bei den Simpsons undenkbar, und das lag vor allem an Norbert Gastell, der sich privat ganz anders anhörte und lieber Synchronschauspieler genannt werden wollte.

Mit Norbert Gastell, so hieß es Ende November 2015, war auch der deutsche Homer gestorben und mit Homer Die Simpsons als Satire-Zeichentrick-Dinosaurier in Deutschland. Zu entgegnen gab es da erstmal wenig. Diejenigen, die so denken, haben jetzt einen Grund mehr, sich Wiederholung um Wiederholung der 7. Staffel anzuschauen, und einen weniger, sich die 27. anzusehen, deren Ausstrahlung ProSieben vorgestern beging. Dass ProSieben den Staffelauftakt nun unter anderem auch mit Homers neuer Stimme bewarb, muss man nicht gut finden, vielleicht schon sogar geschmacklos, handelt es sich bei dem Wechsel ja nicht um einen ästhetische Entscheidung, sondern eine, die aus größter Not heraus getroffen wurde. Niemand wollte je Norbert Gastell ersetzt sehen.

Ist eine Norbert Gastell-Nachfolge denn nun überhaupt möglich? Im Privatfernsehen, der freien Wirtschaft stellt sich so eine Frage natürlich nicht. Die nächstliegende Reaktion war hier die Imitation des Verblichenen und Vergangenen. Verpflichtet als Nachfolger für das Einsprechen der Homer-Sätze, das soviel mehr ist als das, wurde deshalb auch nicht etwa William Cohn, sondern der Stimmakrobat Christoph Jablonka, der offenbar am ehesten dazu imstande war, einen naht- und schmerzlosen Wechsel anzubieten und sich möglichst nah an das Original heranzuhomern.

Wie fühlen sich die Simpsons nun ohne Norbert Gastell bzw. mit Jablonka an? Voll okay, erstmal, da Christoph Jablonka seine Vorlage durchaus präzise abzupausen weiß und er seinem Vorgänger damit in erster Linie größtmögliche Achtung entrichtet. Das sanfte, treudoofe Überschlagen in den Höhen, das nörgelige Lamentieren über das Leben und seine Fallstricke, die ausschließlich Homer in den Weg gespannt werden, das hat Jablonka auch drauf. Aber es fühlt sich so befremdlich an, wie die eigene Stimme auf einem Aufnahmegerät zu hören.


Christoph Jablonkas Darbietungen, die eher an Reminiszenzen erinnern, bleiben maskenhaft, fühlen sich irgendwie falsch an. Da sind Unfeinheiten in der Intonation, Phantommängel, die man nur herbeiahnt, da der 60-jährige Jablonka im Cartoon-Fach natürlich ein Synchronisationsvollprofi ist. Das verständliche, obschon vollends mutlose Imitationsansinnen ist auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Einem Ideal, wie hier dem Norbert Gastell-Homer, der sich über Jahre und Jahrzehnte in den Köpfen der Simpsons-Fans manifestiert hat, kann man sich nur annähern, ihm nie vollends gerecht werden. Das Stimmbruch-Quietschen beim Entzücken über mehr Freizeit nach einer Kündigung, das wütende Knurren bei selbstverschuldeten Missgeschicken, sein väterlicher Bariton in unzähligen Ich-mach-alles wieder-gut-Momenten.

Nun haben die meisten Fans ohnehin schon lange mit den Simpsons abgeschlossen. Simpsons geguckt wird, je nachdem, welche Staffel wiederholt wird: eine aus den 1990ern und vielleicht noch den frühen 2000ern, oder eben eine aus den Jahren ab 2008, 2009, als die Farben immer satter wurden und ebenso die Autoren, die sich mehr auf das gesellschaftliche und politische Tagesgeschehen konzentrierten und kaum noch diese herrlichen, pointierten Kurzgeschichten erzählten, die in ihrer Peripherie, eher beiläufig, Popkultur zitierten und die Welt auf Unzulänglichkeiten abklopften. Das, die große Zeit der Simpsons, ist längst vorbei, nur hat es bis vor Kurzem keine wirkliche Zäsur gegeben, die tatsächlich das Ende dieser großen Serie kennzeichnete, die gerade links und rechts von fixeren, moderneren Cartoon-Satiren wie Bob's Burgers, BoJack Horseman und Family Guy überholt wird.

Womöglich wird Christoph Jablonka nur noch ein paar Jahre Homer sein. Drei Jahre noch, dann gäbe es 30 Simpsons-Staffeln, was Produzent Al Jean als ausreichend erachtet, diesen Ausblick aber sogleich relativiert. Die Simpsons sind halt die Simpsons, nicht unterzukriegen, nicht in ihrer Serienwelt und auch nicht in dem sich radikal verändernden Serienmarkt. Oder?

Homer Simpson

Gut, das ist jetzt weit gedacht, ja ein vermessener Gedanke, aber vielleicht ist der Verlust Norbert Gastells einer, der die ganze Serie trifft, nicht nur ihre deutsche Version, ein Verlust, der rüberwirkt in die USA bzw. nach Südkorea . Ein so großes, verloren gegangenes Stück Seele, das der wankenden Jahrhundertserie den letzten, entscheidenden Stoß verabreicht. Warum jetzt noch weitermachen? Na ja, die Simpsons sind halt da. In dem Bewusstsein leben im Grunde alle nach 1980 geborenen Kinder des Fernsehens. Scheinbar hält die Serie allein diese Produktionsroutine seit Jahren am Leben, dieser Glaube an Unendlichkeit im Fernsehgeschäft, die bei den Simpsons denkbar schien, bis Norbert Gastell starb.

Zum ersten Mal fehlt bei den Simpsons jetzt die wärmste Stimme in der deutschen Synchronsprecherkartei. Für das, was die die Simpsons mittlerweile sind, ein kühler Schatten, sicher aber keine schlechte Serie, genügt vielleicht auch Christoph Jablonka. Für alles andere, die Erinnerungen an bessere Zeiten und an Norbert Gastell, bleiben uns immer noch die Wiederholungen.

Wie fühlen sich Die Simpsons für euch ohne Norbert Gastell an?

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