Community

Wir feiern 90 Jahre Stanley Kubrick

26.07.2018 - 14:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Zum 90. Geburtstag
Warner Bros. Film GmbH
Zum 90. Geburtstag
15
18
Nicht weniger als ein Visionär, Revolutionär, ein unverbesserlicher Perfektionist und ohne Zweifel ein Regisseur, der Filmgeschichte schrieb: Stanley Kubrick. Heute wäre der frühere Fotograf 90 Jahre alt geworden.

Sei es die opulente, sehr konstruierte, mit akustischen Reizen kunstvoll untermalte, orientierte Bildsprache, sein schwarzer Humor oder die eigenwillige und einprägsame, cinetastische Erzählung von kontroversen oder essenziellen Themen, die die Menschheit seit jeher begleitet.

Stanley Kubrick hat vieles auf die Leinwand gebannt, was dem Perfektionismsus sehr nahe zu kommen scheint. Jede noch so kleine Einstellung wirkt wie ein Gemälde in sich. Zweifelsohne entstanden unter seiner Regie Werke für die Ewigkeit. Heute wäre er 90 Jahre als geworden. Grund genug diesem wohl bekanntem Filmemacher ein textliches Denkmal zu setzen.

Im Rahmen der Aktion Textgeschenke zum Geburtstag haben sich moviepiloten mit einigen Filmen eingehender befasst und Texte dazu verfasst, die wir euch hier gesammelt präsentieren möchten. Es entstanden 7 Texte zu seinen Filmen, die jeweils unterschiedliche Herangehensweisen verfolgen, doch jeder auf seine Art die Beziehung und die Faszination zu Kubrick und seinen Filmen darstellt.

Speziell für die Wiener oder Super-Fans aus Österreich unter euch: Das Gartenbaukino (Wien) zeigt von Ende August bis Mitte September eine überarbeitete Fassung (70mm) von "2001: Odyssee im Weltraum" aus dem Jahre 1968 im Kino.

Nun wünsche ich aber viel Spaß beim Lesen und Mitfeiern!


Iamthesword über Wege zum Ruhm (1957)

Das Gewehr ist und bleibt die Braut des Soldaten. Wer sie hegt und pflegt, den wird sie niemals im Stich lassen.

Als Historiker hat man es nicht leicht mit Historienfilmen. Zumal wenn der Film in einer Epoche spielt, auf die man sich spezialisiert hat. "Paths of Glory" ist für mich also potentiell gefährliches Pflaster - könnte man meinen. Aber Kubrick gelingt es, die Merkmale des "Frontlebens" präzise einzufangen: der ständige psychische Druck und damit verbundene Erkrankungen ("shell shock" bzw. "Kriegszitterer"), die damals nicht als solche (an)erkannt wurden; Offiziere, deren Taktik und Kriegsverständnis aus dem 19. Jahrhundert stammten und die mit den Bedingungen des technisierten Kriegs nicht zurecht kamen - auf Kosten der Leben unzähliger Soldaten, die in sinnlose Frontalangriffe gegen Feldartillerie und Maschinengewehre geschickt wurden; die Entfremdung zwischen den Soldaten in den Schützgräben und den Generalstäben in der Etappe. All dies zusammengefasst in einer kurzen Episode, wie sie wohl hundertfach passierte.

Französische Soldaten erhalten den aussichtslosen Befehl, einen schwer befestigten Hügel zu erstürmen. Als die Soldaten sehen, dass sie nur niedergemäht werden, bleiben viele von Ihnen in die Schützengräben zurück. Daraufhin soll an dem Regiment ein Exempel statuiert werden: Drei der Soldaten werden wegen "Feigheit vor dem Feind" vor ein Kriegsgericht gestellt. Nur der Oberst des Regiments (Kirk Douglas) versucht, sich für sie einzusetzten. Allerdings vergeblich. Die Männer werden hingerichtet.

Es ist nicht nur die Sinnlosigkeit des Krieges, die Kubrick mit großer Intensität demonstriert. Es ist vor allem die Macht der Eigenlogiken, die in einem sich totalisierenden Krieg (also einem Krieg, der alle gesellschaftlichen Ressourchen dem Ziel des Sieges unterordnet) entstehen können: Um den Sieg davon zu tragen, muss JEDES Opfer erbracht werden - und sei es noch so sinnlos. Der Sieg ist als Ziel so absolut, dass ein Soldat, der sein Leben nicht unnötig verheizen möchte (was militärisch durchaus Sinn ergibt), zum Verräter an der eigenen, nationalen Sache wird. Und einen Verräter muss man bestrafen (die Angst vor sogenannten "enemy aliens", also Individuen in einer Gesellschaft, die angeblich die nationale Kriegsanstrengung sabotierten, gab es bei ALLEN Kriegsparteien - und nirgendwo ging man zimperlich mit ihnen um).

Und solche eingeübten Denkmuster verschwanden nicht einfach nach dem Krieg, sondern blieben in den Köpfen der Menschen auch in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten präsent. Kurz: Im ganz Kleinen zeigt "Paths of Glory", warum der Erste Weltkrieg auch die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" genannt wird.


Amon über Spartacus (1960)

I'm Spartacus!

Stanley Kubrick war ein Perfektionist, das kann man sicherlich ohne Übertreibung sagen. Die Akribie, mit welcher er seiner großen Leidenschaft, dem Film, frönte, ist legendär und selbiges gilt für seine Werke. Ein Eintrag in seiner Filmographie fällt indes etwas aus dem Rahmen, nämlich die Literaturverfilmung "Spartacus". Auf den ersten Blick wirkt sie am wenigsten wie ein Kubrick-Film, obgleich er diesem Sandalen-Epos zweifelsohne seinen Stempel aufdrücken konnte.

Die Entstehungsgeschichte von "Spartacus" ist, gerade im Vergleich mit jener seiner anderen Werke, speziell. Die Produktion des Films verlief alles andere als reibungslos, denn obwohl große Namen wie Kirk Douglas oder auch Peter Ustinov in den Film involviert waren, gab es diverse Probleme während der Dreharbeiten. Speziell Douglas, welcher nicht nur den Titel gebenden Protagonisten verkörperte, sondern ebenfalls als ausführender Produzent im Hintergrund wirkte, sollte sich im Laufe der Dreharbeiten mit seinen Kollegen überwerfen. Wie eingangs bereits erwähnt, arbeitete Kubrick immer mit größter Akribie an seinen Filmen und hatte dabei stets die volle kreative Kontrolle über sein Werk - jedoch nicht bei "Spartacus".

Ursprünglich sollte Anthony Mann die Literatur-Adaption inszenieren, doch bereits nach den ersten Drehtagen kam es zu kreativen Differenzen zwischen ihm und Douglas bis letzterer schließlich die Reißleine zog und einen neuen Regisseur an Bord holte. Erstmals nahm der damals 31-jährige Kubrick eine Auftragsarbeit an und er musste lernen, Kompromisse einzugehen. Er verlangte größere kreative Kontrolle über den Film, war mit dem ursprünglichen Drehbuch sowie der Kameraarbeit unzufrieden, doch Douglas setzte ihm klare Grenzen. Das Skript durfte Kubrick zwar nicht umschreiben, dafür riss er allerdings die Arbeit des Kameramanns an sich und filmte große Teile des Films selbst. Ironisch, dass der Film später unter anderem mit dem Oscar für die Beste Kamera ausgezeichnet werden sollte.

"Spartacus" kann man gewiss als konventionellste Arbeit Kubricks bezeichnen und der Film konnte nicht nur an den Kinokassen überzeugen, sondern wurde darüber hinaus mit vier Oscars prämiert und gilt heute als Klassiker. Doch sämtlicher Hindernisse zum Trotz trieb der junge Regisseur seine Darsteller zu Höchstleistungen an. Speziell die Kampfszenen waren für die damalige Zeit sehr brutal, doch sie passten zum dargestellten Klassenkampf zwischen Sklaven und ihren Herren. Das erbarmungslose Training von Spartacus gehört hierbei zu meinen Highlights, schließlich war Douglas stets am Besten, wenn sein Charakter Schmerzen erleiden musste. Spartacus schwitzt, wird verletzt, er leidet, begehrt auf - und fällt letztendlich. Selbst als freier Mann soll Spartacus noch ein Sklave bleiben, den seine Taten ans Kreuz führen, wo sein Leben ein Ende findet.

Historisch ist der Film aufgrund der Verfälschung geschichtlicher Ereignisse zweifelsohne fragwürdig, doch Kubricks Handschrift, die harte Gewaltdarstellung sowie das Aufbegehren gegen eine übermächtig erscheinende, alles zu zermalmende Maschinerie, ist klar erkennbar. Von alledem abgesehen fasste Kubrick nach den Strapazen während dieses Drehs einen Entschluss, welcher sein späteres Schaffen maßgeblich beeinflussen sollte: Nie wieder würde er sich kreativ bei seiner Arbeit an einem Film derart einschränken lassen.


mikkean über Lolita (1962)

Fraid somebody's gonna steal your ideas and sell 'em to Hollywood, huh?

"How did they ever make a movie of LOLITA?"

Diese Frage fasziniert auch fast sechs Jahrzehnte immer noch nachdem Stanley Kubrick sie als Erster beantwortet hat. Weil Vladimir Nabokovs skandalträchtiger Roman-Klassiker immer noch starken Tobak darstellt. Und weil es natürlich schlimme Befürchtungen schürt, sich auszumalen, was heutzutage aus „Lolita“ gemacht werden würde.

Aus dieser Geschichte um den britischen Literatur-Professor und Fortysomething Humbert Humbert, der in die Staaten kommt und den Reizen der minderjährigen Tochter seiner Vermieterin erliegt. Erst wird er ihr Stiefvater und, nach dem vorzeitigen Ableben der Mutter, auch ihr Liebhaber. Für Humbert wird die Erfüllung seiner Begierde aber auch zum Ausgangspunkt einer Tortur, die ihn zum Getriebenen und schließlich zum Mörder werden lässt.

In Kubricks Händen wird daraus ein Film, der sich einerseits als Drama kategorisieren lässt, aber auch Züge einer schwarz gefärbten Komödie trägt. Weil „Lolita“ jegliche sexuellen Aspekte der Vorstellungskraft des Zuschauers überlässt, kann er die Romanze Humberts als das enttarnen, was sie schon immer war: eine geifernde, selbstgefällige Altherrenfantasie. Als Sugardaddy legt Humbert seiner Lolita die Welt zu Füßen. In der Rolle des Lovers erhält das Anmalen von Fußnägeln einen sinnlichen Unterton. Und irgendwie gönnerhaft versucht der intellektuelle Literat, seiner Liebsten die schönen Künste näher zu bringen. Humberts männliches Ego wird geschmeichelt und erregt von der Vorstellung dieser, seiner eigenen Nymphe, deren Schein zwischen erhabener Schönheit und Vulgärem oszilliert. Dabei ist er selbst so geblendet, um zu erkennen, wie ihm selbst die Hörner aufgesetzt werden.

Während Stanley Kubrick und sein Komplize Peter Sellers es förmlich genießen, Humbert stetig, in verschiedenen Erscheinungsformen, die Präsenz seines Kontrahenten Clare Quilty unter die Nase zu reiben. Ein perfides Späßchen, das sich auch auf den Betrachter überträgt. Wenn wir denn mal über die Provokation mit der Beziehung eines alternden Mannes zu einem jungen Mädchen hinausschauen. Da steigert sich dann auch das Bewusstsein für die vielen kleinen Details und Anspielungen, mit denen dieser Film gespickt wurde. Wie etwa den konstanten Wechsel des Soundtracks zwischen den aufpeitschenden klassischen Klängen einer echten Hollywood-Trägödie und dem ganz eigenen Lolita-Theme-Song mit seinem Ya Ya Wow Wow.

Natürlich gehörst du geprügelt oder zumindest getadelt, wenn du bei einem Kubrick nicht die sorgfältig arrangierte Besetzung lobst. Und mir würde das zu Recht zustoßen, wenn ich nicht anführte, dass kaum ein passender Humbert als James Mason hätte gefunden werden können. Nicht nur weil der Mann spielen konnte, sondern auch, weil er uns durchs Geschehen führt, ohne seinen Protagonisten und Erzähler immerwährend als widerlichen Sexualstraftäter zu betrachten. Und Sue Lyon, in ihrer allerersten Rolle, ist einfach diese Mischung aus reiner Schönheit und der grausamen Puppenspielerin, die sich hinter der mädchenhaften Fassade verbirgt. Den wahren Kitt erkenne ich allerdings in Peter Sellers. Nicht wegen eines größeren Talents, sondern einfach, weil sein Charisma es garantiert, dass sich bei Kubricks Adaption die Tragik und die tragische Komik die Waage halten.

So stecken in „Lolita“ auch sarkastische Seitenhiebe aufs damalige Sittenverständnis, nach dem dieses Werk immerhin mit strengstem Jugendverbot belegt wurde. Was dann für Schmunzler sorgt, wenn Sellers, in seiner Rolle als ein gewisser Dr. Zempf, von den Amerikanern als progressiv und modern spricht. Mit einem Interesse, die eigenen Mädchen und Jungen aufs gesunde Liebensleben vorzubereiten. Während uns im Mikrokosmos seiner Figuren allerlei andersartige Vorlieben unterkommen. Wie das Pärchen, das gerne mal zur privaten Party einlädt, weil sie ja so „offen“ sind. Oder Judo-Stunden daheim, bei denen es der Mann genießt, von der Partnerin schmerzvoll durch die Mangel genommen zu werden. Ja wer das wirklich noch nie gesehen hat, sollte das mal bei Gelegenheit nachholen.

Gerade auch deshalb, weil Stanley Kubrick mit „Lolita“ einen Erwachsenenfilm vorgelegt hat, der vielleicht sogar mehr über Erwachsene, ihr sexuelles Selbstverständnis und die Doppelzüngigkeit ihrer Moral vermittelt. Wenn auch kein Generalangriff oder eine böse Abrechnung, ruft Kubrick bei mir die Frage auf, wie viele Schritte es eigentlich sind. Zwischen denen, die Anstand und Reinlichkeit predigen und hinter verschlossenen Türen alles andere als das praktizieren. Bis hin zu jenen, die offen für sittenwidrige Vorlieben sind. All das löst „Lolita“ aus, ohne Fleischbeschau und mit einer Menge interessanter Farb-Nuancen. Und das, obwohl der Film in Schwarz-Weiß gedreht wurde.


doktormovie über Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben (1964)

Gee, I wish we had one of them doomsday machines.

Als im Oktober 1962 die große Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion drohte und ein möglicher nuklearer Albtraum zum Greifen nah schien, wurden selbst Hinz und Kunz die Ausmaße des kalten Krieges bewusst, der Kampf der Ideologien wurde zur Menschheitsfrage. Im Nachhinein wissen wir, dass uns eine solche Konfrontation nur durch mehrere glückliche Zufälle und die Geduld mehrerer Akteure erspart blieb. Zuvor wurde die Gefahr eines möglichen Atomkrieges bloß belächelt, Propaganda zeigte die grenzenlosen Möglichkeiten der Atomkraft auf und rückte sie in ein zukunftsoptimistisches Bild.

In dieser Zeit, in der Hardcore-Phase des Kalten Krieges, hielt Kubrick mit seiner haarscharfen Satire „Dr. Strangelove or: How I Stopped Worrying And Love The Bomb“ der Generation „Our Friend the Atom“ gnadenlos den Spiegel vor und macht sich beinhart über sie lustig, ohne dabei mit dem humoristischen Holzhammer zu agieren, der Holzhammer ist in dem Fall das selbstvernichtende Paradox einer atomaren Konfrontation selbst. Mit Charakteren und Dialogen, die sich schmerzend an der Wirklichkeit orientieren, schuf Kubrick das, was zuvor noch niemand geschafft hat: Einen Antikriegsfilm, der ohne Zeigefinger daherkommt. Während einer seiner vorherigen Filme ("Wege zum Ruhm") noch als waschechter, bierernster Antikriegsfilm gesehen werden kann, so agiert Dr.Strangelove auf einer viel passiveren Ebene – Die Situation selbst entpuppt sich im Laufe des Films als so absurd, dass sie kaum realistisch scheint und doch wissen wir, dass sie wirklichkeitsnäher nicht sein könnte – Das ist Filmkunst in Reinform, das schafft nur Kubrick.

Aber nicht nur die absolute menschliche Idiotie hinter Nuklearwaffen wird hier durch den Kakao gezogen, Kubrick zeigt sich hier sehr ideologiekritisch. Der Kampf „Kommunismus gegen Kapitalismus“ schuf damals nicht nur Feindbilder, sondern ist überhaupt der Grund, warum es zur Zuspitzung der Situation kam. Wenn waschechte Amerikaner den Tod von Millionen von Menschen in Kauf nehmen wollen, um den Kommunismus in Schach zu halten, dann wirkt das heute für uns hirngewaschen, damals war dies aber strategischer Usus.

Alles in allem, ist "Dr. Strangelove" nicht nur eine der besten Satiren, sondern auch einer der besten Kubricks überhaupt – und in Zeiten von Donald Trump, Fire And Fury und „my button is bigger“ wieder hochaktuell.


Mr_Phil über 2001: Odyssee im Weltraum (1968)

I am putting myself to the fullest possible use, which is all I think that any conscious entity can ever hope to do.

Der Anfang vom Ende, das Ende vom Anfang. Und dazwischen? Nichts. Und doch alles. Zu viel und doch zu wenig. Das letzte Aufbäumen des Menschen gegen sich selbst, gegen seinen technologischen Fortschritt. Vergeblich. Vergessen.

Zu spät und doch zu früh. Im Weltall hört dich niemand schreien, niemand atmen. Und doch bleibt der Versuch. Ein Versuch ohne Aussicht auf Erfolg - trotz Willenskraft, trotz Ehrgeiz, trotz Mut. Vergeblich. Vergessen. Verlassen.

Eine Symphonie ohne Orchester, eine Odyssee ohne Reise. Mit und ohne uns. Gegen und für uns. Der Mensch als losgelöste Komponente, als fragiles, zerbrechliches Wesen. Die Sehnsucht zu groß, der Weg zu weit. Der Blick geschärft, die Sinne sensibilisiert für etwas Bewusstseinserweiterndes. Fernab des menschlichen Verstandes, fernab der Erde, fernab der Zivilisation, dem Himmel so nah, der Hölle noch näher. Und dazwischen? Nichts. Der Mensch im Urzustand, kurz vor seinen ersten Schritten, kurz vor seinem Tod, kurz vor seinem Leben. Vieles gelernt, noch mehr vergessen, noch mehr verdrängt.

Kubrick schwebt mit "2001: A Space Odyssey" über den Dingen, über den Menschen, über dem Medium Film - im Weltall, wo uns keiner schreien hört.

Bis heute, bis morgen. Unerreicht. Kälte und Wärme, Distanz und Emotionen. Kubrick mittendrin. Ein Monolith in der kargen Landschaft, die zu keiner Zeit betörender war. Der Urknall filmischen Schaffens. Das Ziel als Wendepunkt. Schluss. Aus. Vorbei. Der Traum zerplatzt. Für immer. Und doch beginnt ein neuer Tag. Immer und immer wieder neue Hoffnung. Plötzlich fühlen wir uns ganz klein und doch so groß. Vergeblich. Vergessen. Verlassen. Verloren.


Stefan Ishii über Barry Lyndon (1975)

I'm not sorry. And I'll not apologize. And I'd as soon go to Dublin as to hell.

Wenn aus Überbleibseln etwas Neues, wahrlich Großes entsteht.

* * * * *

Manchmal im Leben muss man einsehen, dass sich eine wichtige Entscheidung vielleicht als nicht so erfolgsversprechend oder aussichtsreich herausstellt, wie man sich zunächst erhofft hat. Das kann in Beziehungen der Fall sein oder auch bei der Berufswahl. Träume gehen nicht immer in Erfüllung. Auch ich musste nach dem Studium einsehen, dass meine berufliche Ausrichtung etwas idealistisch, aber für mich wohl nur wenig zielführend war. Nach einer anschließenden Post-doc-Phase musste einfach die Reißleine gezogen und eine neue Richtung eingeschlagen werden. Und auch wenn dies mit Loslassen von Wünschen und großen Anstrengungen im neuen Lebensabschnitt verbunden war (und noch immer ist), stellt sich dann glücklicherweise vielleicht doch heraus, dass gerade diese Entscheidung genau die richtige war und man seine Bestimmung gefunden hat.

Auch Barry Lyndon, ein irischer Abenteurer des 18. Jahrhunderts, ist auf der Suche nach seiner Bestimmung. Basierend auf dem Roman "Die Memoiren des Junkers Barry Lyndon" (1844) von William Makepeace Thackeray wird eine Geschichte von Aufsteig und Fall eines Mannes erzählt, der um seinen Platz im englischen Adel ringt. Alles dreht sich um das Thema der Machtlosigkeit des Individuums gegenüber den großen Zusammenhängen der Welt - mit einem leicht satirisch-tragischen Blick auf die Glücksjägermentalität seiner opportunistischen Hauptfigur.

Wenn ich wiederholt von Bestimmung sprechen, dann weil es sich bei der Entstehungsgeschichte von "Barry Lyndon" um die wohl glücklichste Fügung im Schaffen Stanley Kubricks, wenn nicht gar der Kinogeschichte handelt. Denn eigentlich wollte Kubrick einen epischen Film über Napoléon Bonaparte drehen. Der Brite nahm von diesem Projekt jedoch Abstand, nachdem er vom ähnlich thematisierten und eher erfolgslosen Waterloo (1970) des Regisseurs Sergei Bondarchuk erfuhr. Auch Geldgeber zogen sich zurück. Was blieb waren all die Vorarbeiten. Für seinen Napoléon-Film hatte Kubrick sehr ausführliche Recherchen angestellt. Er sah jeden Film, der zuvor über den französischen Herrscher gedreht wurde, auch wenn er diese zumeist nicht wirklich mochte. Kubrick las Bücher zur Biographie und über Kriegsführung. Er erstellte akribisch (mit Hilfe von einigen Assistenten) einen Kartenkatalog über all die Orte und Taten des inneren Kreises Napoléons während dessen Herrschaft.

Kubrick beschäftigte sich mit dem Leben im 18. Jahrhundert auf jede erdenkliche Art und Weise und sammelte Gegenstände und Kleidung aus dieser Zeit. Er verfasste ein vorläufiges Drehbuch, das man heute im Internet finden und lesen kann. Er suchte sogar bereits nach geeigneten Drehorten für sein Filmepos und für die Schlachtenszenen hatte er sich auch schon die Mitarbeit der rumänischen Armee (angeblich 40.000 Soldaten und 10.000 Kavalleristen) gesichert. Angeblich sollten Jack Nicholson und Audrey Hepburn die Hauptrollen übernehmen.

All diese Vorarbeit und das Wissen floss sicherlich in die Arbeit zu "Barry Lyndon" ein. Vielleicht wäre "Napoléon" ein noch größerer Film geworden. Das kann man natürlich nicht wissen. Aber "Barry Lyndon" gehört mit zu dem Schönsten und Imposantesten, das Stanley Kubrick in seiner Karriere je schuf. Doch als wirklich ermutigend und fast Ehrfurcht gebietend empfinde ich die Entstehungsgeschichte des Filmes. Aus scheinbar ungünstigen Entwicklungen wurde das Bestmögliche gemacht. Die Reste einer gescheiterten Produktion fanden ihre Bestimmung und es entstand etwas wirklich Wundervolles.

Den Kommentar findet ihr auch hier.


Amarawish über Eyes Wide Shut (1999)

Millions of years of evolution, right? Right? Men have to stick it in every place they can, but for women... women it is just about security and commitment and whatever the fuck else!

Wir begehren. Haben das Verlangen der Einsamkeit zu entfliehen. Sich mit jemanden verbunden zu fühlen, so wie mit niemand sonst. Sowohl mental als auch körperlich. Deshalb lassen wir es auch zu, dass ein Mensch im Besonderen uns näher kommen darf, als andere. Wir stellen Besitzansprüche, denn niemand sonst sollte zur gleichen Zeit das Recht besitzen diesen Menschen, der unser Innerstes kennt auch so zu berühren, erfolgreich begehrenswert zu empfinden. Oft besiegeln wir das mit Eheschließungen und schriftlichen, manchmal unter Tränen und Schweiß entstandenen Gelöbnissen. Es ist für immer schwarz auf weiß verewigt.

Augenkontakt. Ein Gedanke wird zu einem Gefühl.

Ich beobachte dich mit ihnen.
Die Eifersucht erwacht und hat Böses im Sinn.

Doch dann triffst du eines Tages einen Menschen, der in dir etwas auslöst. Vielleicht etwas, was du nicht in Worte fassen kannst. Es bringt dich aus der Fassung und lässt dich nicht mehr los. Eine Art von mentaler Berührung?

Natürlich verheimlichst du es. Es ist ja bloß ein Gedanke des Begehrens, dem du nicht nachgehst. Kann man dies schon Betrug nennen?

Berührungen. Küsse, tröstend und suchend, nach Liebe und Zärtlichkeit.

Vernebelte Zustände verleiten mich es dir zu erzählen.
Es ist ein schicksalhafter Moment der drogenbedingten Ehrlichkeit.

Ich gestehe meine Fantasieaffäre. Es ist eine verbale Tat mit viel Ernsthaftigkeit, die das Bild der treuen, liebenden Frau völlig erschüttert.

Ein berechtigter Zweifel keimt in dir auf. Die Fantasie geht mit dir durch. Du hast es ständig vor dir. Das Bild. Ich und ein anderer Mann. Es ist angerichtet.

Der Vertrauensbruch entfacht eine Welle an Gefühlen, die man nicht einzuordnen vermag. Ein allseits verschlingender Strudel der Machtlosigkeit und du bist mittendrin.

Begeben wir uns auf eine voyeuristische Reise intimer Selbstentdeckung. Steigen wir hinab in die Tiefen der Psyche und wohnen den Veränderungen zwischenmenschlicher Beziehungen bei. Erleben wir eine Fülle von psychologischer Metaphorik und Symbolik. Überwinden wir die Gefährdung einer Beziehung durch das Unbewusste und die Tücken der eigenen Angst.

Wir sind gefangen zwischen Realität und Illusion, Eifersucht und Obsession. Wir können die erotischen Fantasien eingehen oder sie tief im Inneren vergraben und hoffen, dass wir sie erfolgreich unterdrücken können. Ist es ratsam den Ausgleich durch Betrügen zu schaffen?

Was würdet ihr an Williams Stelle tun?

****

Kubricks filmische Exploration des Ehepaares Harford im Bezug auf sexuelle Beziehungen ist sowohl erzählerisch als auch optisch und akustisch meisterlich inszeniert. Die mangelnde Kommunikation, die Versuchung des Verbotenen sowie Unbekannten mit Mitwirkungen der Eifersucht und Leidenschaft stehen im Zentrum.

"Eyes Wide Shut“ ist eine vor allem komplexe, detaillierte und alptraumhafte Studie menschlicher Intimität mit starken, erotischen Tönen. Eine durchweg berührende und betörende Reise voller Emotions-Ästhetik, deren Wirkung nur als magisch beschrieben werden kann.

Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.

* * *

Im Rahmen des Schreibzusammenschlusses "Textgeschenke zum Geburtstag" sind bereits einige tolle Artikel zusammengekommen. Eine Übersicht läßt sich in einer Liste finden. - Neue Autoren und Mitschreiber sind natürlich immer gerne willkommen. Kontaktiere einfach Amarawish oder Stefan Ishii! Oder schaue in unsere Planungsliste!

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News